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Geht man zu den historischen Anfängen der medizinischen Wissenschaft zurück, trifft man auf Wanderchirurgen, die schon vor Jahrhunderten völlig selbstverständlich Operationen durchführten – ohne den Rahmen eines Krankenhauses. Als mit der technischen Fortentwicklung schließlich Krankenhäuser entstanden, wurden Mediziner zunehmend zu ausgebildeten Spezialisten auf unterschiedlichen Gebieten. Die Bündelung und Vertiefung medizinischen Wissens garantierte die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung.

Nachdem die Medizin in den 1980er Jahren Anästhesieverfahren entwickelt hatte, dank derer Patienten bereits kurz nach einem Eingriff wieder in der Lage waren, sich eigenständig und ohne ärztliche Hilfe zu versorgen, verlagerte sich die operative Medizin teilweise wieder aus den Krankenhäusern heraus in niedergelassene Praxen, wo ambulant operiert wurde. Seit ungefähr zehn Jahren etabliert sich das ambulante Operieren auch im Krankenhausbereich.

Nach einer Definition der Internationalen Gesellschaft für ambulantes Operieren (IAAS) aus dem Jahr 1995 gelten Eingriffe dann als ambulant, wenn der Patient ohne Minderung von Qualität und Sicherheit sowohl die Nacht vor dem – klinikgestützten oder praxisambulanten – Eingriff als auch die Nacht danach zu Hause verbringen kann.

Der Gesetzgeber hat über § 115 b Sozialgesetzbuch (SGB) V das ambulante Operieren nur unter strengen Auflagen möglich gemacht. Er hat sich dafür dreier selbstverwalteter Partner im Lande bedient: Die Spitzenverbände der Krankenkassen, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft haben im Rahmen der untergesetzlichen Normgebung einen Vertrag geschlossen, der die räumlichen, personellen, instrumentellen und organisatorischen Voraussetzungen für das ambulante Operieren regelt.

Der Vertrag soll die Einhaltung des Facharztstandards ebenso garantieren wie die Einbeziehung des überweisenden Vertragsarztes und die lückenlose Informationsweitergabe zwischen den beteiligten Ärzten.

Gemeinhin schätzen die Patienten die Beibehaltung des häuslichen Umfeldes und bewerten die psychische Belastung bei ambulanten Eingriffen als geringer wie bei stationären Aufenthalten. Gern wird dabei der Begriff „minimalinvasiv“ gewählt und so eine Herabstufung der Maßnahme in die Kategorie „harmloser Eingriff“ erreicht.

Doch all diese Vorteile dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass es auch im Bereich des ambulanten Operierens Haftungsrisiken gibt, die nicht unterschätzt werden sollten. Absolute Priorität muss immer die Sicherheit des Patienten haben, egal wie viel im Einzelfall für einen ambulanten Eingriff sprechen mag.

Es liegt auf der Hand, dass in einer Situation, in welcher der Patient weder vor noch nach der Operation lückenlos medizinisch überwacht werden kann, besonderes Augenmerk auf die Planung der prä- und postoperativen Abläufe gelegt werden muss. Der Bundesverband für Ambulantes Operieren e.V. hat Leitlinien entwickelt, die sich mit den sozialen und medizinischen Aspekten, den räumlichen und personellen Eignungen sowie den Themen Aufklärung und Entlassung befassen (www.operieren.de).

Der Bundesverband empfiehlt, bei der Auswahl der Eingriffe unter anderem folgende Kriterien zu beachten:

Es sollten Eingriffe mit kaum Nachblutungsrisiko und minimalen Atmungskomplikationen sein, die zudem keine spezielle Pflegebedürftigkeit nach der Operation verlangen.

Die Befunde der ärztlichen Untersuchungen vor der Operation sowie Nachweise einer vollständigen Aufklärung müssen vorliegen.

Bei der Entlassung sollte darauf geachtet werden, dass der Patient seit mindestens einer Stunde stabile vitale Zeichen aufweist und voll orientiert ist.

Im Hinblick auf die Entlassung und die so genannte therapeutische Aufklärung – d.h. sowohl die präoperative Aufklärung als auch die Aufklärung hinsichtlich des postoperativen Verhaltens – rät der Bundesverband unter anderem Folgendes:

  • Die relevanten Aspekte zur Nachsorge nach Narkose und Operation müssen dem Patienten und seiner Begleitperson schriftlich und mündlich mitgeteilt werden.
  • Eine Kontaktadresse für Notfälle (Person und Telefonnummer) ist dem Patienten mitzugeben.
  • Eine geeignete Schmerztherapie mindestens für den ersten Tag nach der Operation sollte vorgeschlagen werden.
  • Grundsätzlich müssen Ratschläge für eine dauerhafte Medikamentengabe mitgeteilt werden.
  • Der Patient ist vor und nach der Operation sowohl mündlich als auch schriftlich davor zu warnen, innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Eingriff einen Wagen zu fahren, Abschlüsse jeglicher Art vorzunehmen, Alkohol zu trinken bzw. Beruhigungsmittel zu nehmen.

Zur therapeutischen Aufklärung gehört auch, dass der medikamentenverschreibende Arzt den Patienten über mögliche schwerwiegende Nebenwirkungen des verordneten Medikaments aufklärt – über den entsprechenden Hinweis in der Gebrauchsinformation des Pharmaherstellers hinaus (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15.03.2005 – VI ZR 200/03).

Als Versicherungsmakler, der sich intensiv mit der Bearbeitung von Arzthaftpflichtschäden befasst, haben wir eine detaillierte Auswertung vorgenommen. Grundlage sind die Daten aus einem Pool von ca. 240 Krankenhäusern. Das Besondere: Alle diese Häuser werden bereits seit 1996 kontinuierlich und unverändert von uns betreut, sodass eine ununterbrochene Datenerhebung möglich war. Beginnend mit dem Jahr 2002, konnten aus dem Datenbestand insgesamt 121 Schäden aus dem ambulanten Bereich der Krankenhäuser ermittelt werden.

Die am häufigsten in der Schadenbilanz auftauchende Fachrichtung war die Unfallchirurgie mit 67 Schäden, gefolgt von der allgemeinen Chirurgie mit 12 Schäden.

Einige Beispiele aus der Auswertung:

Fall 1:

Eine unterlassene Thromboseprophylaxe führt zu einer tiefen Oberschenkelvenenthrombose nach ambulanter Arthroskopie des linken Kniegelenks. Der Patient ist nicht über die postoperative Medikation aufgeklärt worden.

Es erfolgt eine Entschädigungszahlung in Höhe von 26.000 Euro.

Fall 2:

Bei ambulanter Operation am Daumen wird vergessen, die Fingerblutsperre zu entfernen. Erst zwei Tage nach dem Eingriff erscheint der Patient erneut und klagt über Schmerzen. Es sind drei weitere Operationen erforderlich.

Eine Entschädigungszahlung in Höhe von 20.000 Euro wird geleistet.

Fall 3:

Bei einer ambulanten Gebärmutterausschabung in Verbindung mit einer diagnostischen Hysterektomie wird das Gewebe nicht vollständig entfernt. Die nach solchen Eingriffen übliche Spiegelung und Fotodokumentation der Gebärmutter wird aufgrund von Zeit- und Personalmangel unterlassen. Daher bemerkt niemand, dass die Gebärmutterhöhle nicht vollständig sauber und entleert ist. Zwei Tage nach dem Eingriff kommt es zu erneuten Blutungen, die eine erneute Ausschabung notwendig machen.

Es wird eine Entschädigungszahlung in Höhe von 1.500 Euro gezahlt.

Fall 4:

Bei einem Kind entwickelt sich aus einer Nebenhöhlenentzündung eine Orbitalphlegmone. In der Augenklinik entscheidet man sich, ambulant zu behandeln. Diese Entscheidung ist angesichts der Diagnose und des schlechten Allgemeinzustandes des Kindes – beides dokumentiert – als ärztlicher Fehler anzusehen.

Die Verzögerung der notwendigen Operation um zwei Tage führt zu einer Entschädigungsleistung in Höhe von 500 Euro.

Empfehlungen aus Sicht des Risikomanagements

Ein ambulantes Operieren darf nicht zu einem Sicherheitsrisiko des Patienten führen. Daher muss im Vorfeld genau geprüft werden, ob der geplante Eingriff bei dem individuellen Patienten tatsächlich ambulant durchgeführt werden kann. Es muss sichergestellt sein, dass alle relevanten präoperativen Befunde vorliegen. Neben den räumlichen, hygienischen und apparativen Anforderungen muss der Facharztstandard gesichert sein.

Der therapeutischen Aufklärung des Patienten kommt im ambulanten Bereich eine besondere Bedeutung zu, da der Patient sich nicht im direkten Einwirkungsbereich des Arztes befindet. Sie sollte durch eine gründliche Dokumentation nachweisbar sei.

Stüldt-Borsetzky M. Organisation und Haftung: Das ambulante Operieren. Passion Chirurgie. 2011 November; 1(11): Artikel 03_03..

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Miriam Stüldt-Borsetzky

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