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Die Thematik „Operieren in der Schwangerschaft“ hat in den letzten Jahren zunehmendes berufspolitisches Interesse gewonnen. Ca. 60 % der Studienanfänger in der Medizin sind Frauen, und Umfragen haben ergeben, dass mehr als die Hälfte der chirurgisch aktiven Weiterbildungsassistenten weiblich sind [1]. Bei einer durch den Berufsverband der Deutschen Chirurgen e. V. (BDC) initiierten Befragung zeigte sich, dass insbesondere die Weiterbildungszeit nicht als idealer Zeitpunkt angesehen wurde, ein Kind zu bekommen [2]. Hintergrund ist die Verlängerung der Weiterbildungszeit und die Verzögerung in der beruflichen Entwicklung bedingt durch eine unzeitgemäße Auslegung des Mutterschutzgesetzes von 1952, das in seiner Form mit Ergänzung durch die „Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz“ Chirurginnen die Möglichkeiten nahm, auch während einer gesunden, intakten Schwangerschaft, Tätigkeiten im OP fortzuführen. Zumeist wird mit Bekanntgabe der Schwangerschaft den chirurgisch tätigen Frauen der Weg in den Operationssaal versperrt, was insbesondere Assistenzärztinnen hindert, ihre Weiterbildung in gewünschter Kontinuität bzw. Fachärztinnen ihren beruflichen Karriereweg mit entsprechendem Erfolg fortzusetzen.

Dank der Initiative des Jungen Forums der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) in Zusammenarbeit mit dem Perspektivforum Junge Chirurgie wurde das Projekt „Operieren in der Schwangerschaft“ (www.OPidS.de) unter Leitung von Dr. Maya Niethard und Dr. Stefanie Donner gestartet. Ihr Engagement, die Initiative des Deutschen Ärztinnenbundes e.V. und die zunehmende berufspolitische Diskussion dieses Themas haben mit dazu beigetragen, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Mutterschutzgesetzes am 30. März 2017 Zustimmung im Bundestag erhalten hat [3], am 29.Mai 2017 im Bundesgesetzblatt Jahrgang 2017 Teil 1 Nr. 30 veröffentlicht worden ist [4] und zum 01.01.2018 in Kraft treten soll. Zur verbesserten Transparenz wurden die Vorschriften der „Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz“ (MuSchArbV) vom 15. April 1997, die in der Praxis bislang unzureichend und meist föderal uneinheitlich umgesetzt worden sind, in das Mutterschutzgesetz integriert.

Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts

Das Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzes umfasst Regelungen sowohl für schwangere Frauen als auch für stillende Mütter. Im Weiteren wird vornehmlich auf das Procedere während einer Schwangerschaft eingegangen. Um zu erreichen, dass eine werdende Mutter und ihr ungeborenes Kind den Schutz erhalten, den sie auch benötigen, ist es erforderlich, dass die Schwangerschaft so früh wie möglich dem Arbeitgeber gemeldet wird. Bislang haben viele Ärztinnen die Bekanntgabe einer Schwangerschaft so lange wie möglich hinausgezögert oder offiziell gar nicht angemeldet, um keine Einschränkungen in der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit erfahren zu müssen. Unverändert bleibt daher, dass eine schwangere Frau ihrem Arbeitgeber die Schwangerschaft anzeigen und den voraussichtlichen Geburtstermin angeben soll, sobald ihr die Schwangerschaft bekannt ist (§ 15 Abs. 1 BGBL. I S. 1234). Nur dann ist es dem Arbeitgeber möglich, unter Mitsprache der betroffenen Frau entsprechende Maßnahmen zur Gestaltung ihres Arbeitsplatzes und der Arbeitszeit einzuleiten und zu gewährleisten[3]. Die wesentlichen Neuerungen sind nachfolgend erwähnt:

Erweiterter Personenkreis

Das Mutterschutzgesetz ist zukünftig nicht nur für „Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen“, und für „weibliche in Heimarbeit Beschäftigte und ihnen Gleichgestellte“[5] anzuwenden, sondern auch nach § 1 Abs.2 BGBL. I S. 1228 u. a. für

  • Frauen in betrieblicher Berufsausbildung und Praktikantinnen,
  • Schülerinnen und Studentinnen [4] .

Nicht einbezogen sind Beamtinnen, Richterinnen und Soldatinnen, für die andere Rechtsverordnungen in Anlehnung an die gesetzlichen Rechtsgrundlagen gelten. Ebenfalls nicht einbezogen, und das muss an der Gesetzesnovellierung kritisch angemerkt werden, sind niedergelassene Ärztinnen.

Schutzfristen vor und nach Entbindung

Neben der verlängerten Schutzfrist für Frauen mit Früh- oder Mehrlingsgeburten verlängert sich die gesetzliche Schutzfrist nach Entbindung von acht auf zwölf Wochen, sollte eine Schwangere ein Kind mit Behinderung zur Welt bringen.

Mehr- und Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit

Unverändert bleibt der Umfang der täglichen und wöchentlichen Arbeitsbelastung. So darf eine schwangere Ärztin nicht mehr als 8 ½ Stunden täglich oder 90 Stunden in der Doppelwoche arbeiten, wobei die Sonntage eingerechnet werden (§ 4 Absatz 1 BGBL. I S.1230). Zusätzlich muss ihr der Arbeitgeber aber nach Beendigung ihrer täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden gewähren (§ 4 Absatz 2 BGBL. I S.1230). Generell besteht auch weiterhin ein Beschäftigungsverbot zwischen 20 Uhr und 6 Uhr. Sollte jedoch

  • die Frau sich ausdrücklich bereit erklären,
  • nach ärztlichem Zeugnis nichts gegen eine Beschäftigung der Schwangeren bis 22 Uhr sprechen
  • und eine unverantwortbare Gefährdung für die schwangere Frau oder ihr ungeborenes Kind durch Alleinarbeit ausgeschlossen sein,

so kann auf Antrag des Arbeitgebers eine Beschäftigung zwischen 20 und 22 Uhr durch die Aufsichtsbehörde genehmigt werden (§ 28 BGBL. I S. 1237). Dies ist weniger relevant für ein „Operieren in der Schwangerschaft“, es würde aber insbesondere Ärztinnen im Schichtdienst auf der Intensivstation erlauben, ihre Tätigkeit im Früh- und Spätdienst und damit z. B. ihre Weiterbildung fortzusetzen, so lange gewährleistet wird, dass sie nicht auf sich allein gestellt ist. Die schwangere Ärztin kann ihre Bereitwilligkeit jederzeit widerrufen. Ähnliches gilt für eine Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen (§ 5 BGBL. I S. 1230). Auch hier sind bei Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes und der erforderlichen Ruhezeiten der ausdrückliche Wunsch der Schwangeren und der Ausschluss einer Alleinarbeit Grundvoraussetzungen [4].

Freistellung und Kündigungsschutz

Weiterhin festgelegt sind Freistellungen der Frau durch den Arbeitgeber zur Durchführung von Untersuchungen während der Schwanger- und Mutterschaft. Das Kündigungsverbot ist erweitert, so dass Frauen, die eine Fehlgeburt nach Beendigung der zwölften Schwangerschaftswoche erleiden mussten, bis vier Monate nach Geburt Kündigungsschutz gewährt wird. Eine entsprechende frühzeitige Meldung der Schwangerschaft an den Arbeitgeber ist hierfür unabdingbar.

Arbeitsplatzgestaltung und Gefährdungsbeurteilung

Wesentliches Ziel der Neuregelung des Mutterschutzes ist eine Verringerung der Beschäftigungsverbote unter bundeseinheitlicher Regelung. Hierzu wird der Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitsbedingungen werdender oder stillender Mütter derart nach individuellen Gefährdungsbeurteilungen zu gestalten, dass alle erforderliche Maßnahmen für den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit der werdenden oder stillenden Mutter sowie der ihres Kindes getroffen sind. Der Frau ist während ihrer Schwangerschaft als auch nach der Entbindung und in der Stillzeit unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften eine Fortführung ihrer Tätigkeit ohne Benachteiligung zu ermöglichen (§ 9 Abs. 1 BGBL. I S. 1231). Arbeitsverbote können nur noch nach individueller Prüfung des Arbeitsplatzes und begründeten medizinischen Gefährdungen ausgesprochen werden. Schwangere erhalten damit mehr Mitsprache bei der Gestaltung ihres Arbeitsplatzes und der Arbeitszeit, um „eine verantwortungsvolle Interessenabwägung zwischen der Gesundheit der schwangeren Frau… und ihres Kindes einerseits und ihrer selbstbestimmten Teilhabe an der Erwerbstätigkeit andererseits“ zu gewährleisten [3].

Bei der Erstellung der individuellen Gefährdungsbeurteilungen in einem chirurgischen Fachgebiet stehen der Umgang mit Narkosegasen, Tätigkeiten bei Einsatz von Röntgenstrahlen und die Reduktion des Infektionsrisikos auf ein medizinisch vertretbares Maß sowie eine Anpassung des Arbeitsplatzes „Operationssaal“ zur Minimierung eines Verletzungsrisikos der Schwangeren im Vordergrund.

Gefährdungsbeurteilung „Narkosegase“

Narkosegase oder Inhalationsnarkotika sind Gefahrenstoffe. Ihr unkritischer Einsatz birgt ein Gefährdungspotential für die werdende Mutter und das ungeborene Kind. In einer Empfehlung der BDA Kommission „Gesundheitsschutz am anästhesiologischen Arbeitsplatz“ wurde eine Positivliste erstellt, die die „Durchführung, Überwachung und Dokumentation aller Formen von intravenösen Anästhesien“ sowie die „Durchführung, Überwachung und Dokumentation von Inhalationsanästhesien unter kontinuierlicher Leckage-Kontrolle und Beachtung der BG/BIA-Empfehlung 1017“ beinhaltet. Durch den Einsatz einer intravenösen Narkoseinduktion und den generellen Verzicht auf Maskennarkosen kann eine Minimierung des Risikos der Arbeitsplatzkontamination für die Schwangere erreicht und somit eine Tätigkeit im OP ermöglicht werden. Generell sind Total IntraVenöse Anästhesien nicht kostenintensiver als Kombinationsanästhesien mit Inhalationsnarkotika, da die verwendeten intravenösen Präparate den Kliniken jetzt zunehmend als Generika kostengünstiger zur Verfügung stehen. Schwangere Chirurginnen können aber ebenso Eingriffe bei Patienten vornehmen, bei denen regionalanästhesiologische Maßnahmen Anwendung finden [6].

Gefährdungsbeurteilung „Röntgenstrahlen“

Tätigkeiten von werdenden Müttern sind in der Strahlenschutz (StrlSchV) – und Röntgenverordnung (RöV) festgelegt und sind als Konkretisierung der Regelungen des Mutterschutzgesetztes anzusehen. Entsprechend der RöV und StrSchV ist Schwangeren die Tätigkeit in Kontrollbereichen unter Auflagen erlaubt. Dies beinhaltet die Einhaltung der Grenzwerte nach § 31a RöV und § 55 StrlSchV: Der Grenzwert am Uterus gebärfähiger Frauen beträgt 2 mSv/ Monat und „für ein ungeborenes Kind, das auf Grund der Beschäftigung der Mutter einer Strahlenexposition ausgesetzt ist, darf die Äquivalentdosis vom Zeitpunkt der Mitteilung der Schwangerschaft bis zu deren Ende den Grenzwert von 1 mSv nicht überschreiten.“[7,8]

Generell ist ein Verlassen des Kontrollbereiches bei Einsatz von Röntgenstrahlen anzuraten. Sollte dies nicht vermeidbar sein, ist ein Betreten des Kontrollbereiches (Operationssaal) unter Anwendung entsprechender Schutzmaßnahmen (z. B. Tragen einer Bleischürze) nach Rücksprache mit dem Strahlenschutzbeauftragten, der gegebenenfalls sich bei der entsprechenden Behörde rückversichert, möglich. Angeraten ist dann ein Tragen eines Dosimeters im Thoraxbereich, das vier-wöchentlich ausgelesen wird, und eines zweiten, wöchentlich auszulesenden Dosimeters in Uterushöhe, zur sichereren Abschätzung der Gebärmutterdosis und damit der Dosis des ungeborenen Kindes. Generell sollte der intraoperative Einsatz ionisierender Strahlen möglichst vermieden werden.

Gefährdungsbeurteilung „Infektionen“

Bereits Wicker et al. [9] publizierten ein durchschnittliches Infektionsrisiko für HCV- Infektionen nach entsprechend kontaminierter Nadelstichverletzung von 0,42% sowie eine Serokonversionsrate bei HIV von <0,3%. Um für Schwangere den Risikofaktor „Infektion“ maximal zu reduzieren, sollte bereits vor Eintritt der Schwangerschaft bei Frauen im gebärfähigen Alter der Immunstatus orientierend an den Empfehlungen der STIKO überprüft und aktualisiert werden [10]. Zusätzlich ist mit Eintritt der Schwangerschaft entsprechend durch den behandelnden Gynäkologen die Immunitätslage hinsichtlich weiterer Krankheitserreger entsprechend der „S2k-Leitlinie 093-001 Labordiagnostik schwangerschaftsrelevanter Virusinfektionen“ zu testen. Generell sollten von schwangeren Chirurginnen nur elektive Eingriffe bei Patienten vorgenommen werden, bei denen präoperativ das Screening keine Nachweise einer HCV- oder HIV erbracht hat. Der Preis für ein HCV- oder HIV- Screening (Laborleistung) wird im Einzelfall über die Einkaufskonditionen des Krankenhauses determiniert. Hält das die Laborleistung veranlassende Krankenhaus das durchführende Labor noch als Eigenbetrieb oder Kostenstelle in der Organisation vor (Typ a), sind die Einkaufskonditionen bei der Industrie maßgeblich. Kauft das die Laborleistung veranlassende Krankenhaus den Befund aus dem HCV- oder HIV- Screening von einem Labordienstleister ein (Typ b), orientiert sich der Bezugspreis für diese Laborleistungen in der Regel an der Gebührenordnung der Ärzte (GOÄ). Nach der GOÄ belaufen sich die abrechenbaren Gebühren für ein HIV-Screening (GOÄ-Ziffer: 4395) zwischen 17,49 € (einfacher Gebührensatz) und 20,11 € (zulässiger Gebührensatz, 1,15 fache des einfachen Gebührensatzes). Für Hepatitis C (GOÄ- Ziffer: 4406) sind abrechenbar 23,31 € (einfacher Gebührensatz) bis 26,81 € (zulässiger Gebührensatz, 1,15 fache des einfachen Gebührensatzes) [11]. Zunehmend wird allerdings auch der Trend beobachtet, dass Kliniken bei größeren elektiven Eingriffen routinemäßig auf ein HIV- und HCV- Screening der Patienten bestehen, da prinzipiell jeder Operateur, egal ob Chirurg oder Chirurgin, schwanger oder nicht schwanger, bei diesen Eingriffen gefährdet ist.

Gefährdungsbeurteilung „Arbeitsplatz OP“

Eine weitere wesentliche Grundvoraussetzung zur Vermeidung von Infektionen ist eine Anpassung des OP-Umfeldes an schwangere Operateure. Unabhängig davon, dass ab dem fünften Schwangerschaftsmonat keine stehenden Tätigkeiten von mehr als vier Stunden vorgenommen werden sollen, eine Sitzmöglichkeit bereitgestellt und eine mögliche Liegegelegenheit zur Verfügung stehen muss, ist zu prüfen, ob Eingriffe auch sitzend durchgeführt werden können. Weiterhin sind elektive, nicht kontaminierte Eingriffe nur unter Tragen von Indikatorhandschuhen und unter Schutz der Augen (z. B. Schutzvisier, Brille, Mikroskop) durchzuführen. Zusätzlich sind, soweit operationstechnisch möglich, stichsichere Instrumente zum Einsatz zu bringen. Für die schwangere Chirurgin ist es wichtig, kein beengtes Operationsfeld zu haben und ihre Tätigkeit immer unter ununterbrochener Sichtkontrolle durchzuführen.

Derzeitige Situation in Deutschland (Umfrageergebnisse)

Zum Thema „Schwanger und Operieren“ ist bislang eine deutschlandweite Erhebung publiziert. Allerdings hatten an der Befragung nur 164 Gynäkologinnen (n= 128) und Chirurginnen (n=36) teilgenommen [12]. Dies war Anlass, unter Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen e.V. (BDC) und der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) eine neuerliche Umfrage zu starten, die im Dezember 2016 beendet wurde. Insgesamt haben sich 2294 chirurgisch tätige Kolleginnen aus den unterschiedlichsten Fachbereichen (Abb. 1) an der Umfrage beteiligt. Die Zwischenanalyse spiegelt die Ergebnisse der Umfrage von Knieper et al. wider. Knapp 57 % der Befragten waren während ihrer beruflichen Tätigkeit schwanger und fast 67 % auch während ihrer Schwangerschaft operativ tätig. Vornehmliche Gründe für die Entscheidung zur operativen Tätigkeit in der Schwangerschaft waren die Freude am Operieren, der Teamgeist und die Kollegialität, gefolgt von Karriereinteresse und angestrebtem Facharztabschluss (Abb. 2). Analog zur Befragung von Knieper et al. würden fast 80 % der Befragten sich (wieder) für eine operative Tätigkeit in der Schwangerschaft entscheiden. Fast genauso viele wünschten sich ebenfalls eine Anpassung des Mutterschutzgesetzes. Eine detaillierte Auswertung der Befragung wird nach Abschluss der Gesamtanalyse publiziert.

Abb. 1: Umfrageteilnahme entsprechen der Fachgebiete

Abb. 2: Gründe für die Entscheidung zur operativen Tätigkeit während der Schwangerschaft

Auswirkungen der Neuregelung des Mutterschutzrechts

Die Chirurgie wird weiblich. Und das betrifft jedes chirurgische Fachgebiet. Frauen werden zukünftig im chirurgischen Alltag als Assistenz-, Fach-, Ober- und Chefärztin zunehmend bestimmender sein. Frauen werden aber auch schwanger. Sie übernehmen damit eine weitere Verantwortung als Mutter. Insofern wird sich jede Chefärztin, jeder Chefarzt zukünftig auch mehr mit der Situation auseinandersetzen müssen, wie der Klinikalltag strukturiert werden kann und muss, sobald eine Mitarbeiterin die Schwangerschaft mitteilt. Aufgrund der Integration der „Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz“ in das Mutterschutzgesetz sind die z. T. schon seit Jahren bestehenden gesetzlichen Vorgaben und Richtlinien wesentlich transparenter dargestellt, was die Umsetzung im Alltag erleichtern soll. „Soweit es nach den Vorschriften dieses Gesetzes verantwortbar ist, ist der Frau auch während der Schwangerschaft… die Fortführung ihrer Tätigkeiten zu ermöglichen“ (§ 9 Abs. 1 BGBL. I S. 1231). Das Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzes bietet damit den ärztlichen Kolleginnen, die während einer gesunden und intakten Schwangerschaft ihre operative Tätigkeit auf eigenen Wunsch fortführen wollen, die rechtliche Basis, dies auch umsetzen zu können. Kritsch angemerkt wird allerdings auch, dass mit der Auslegung des Mutterschutzrechts von Seiten der Chefärztin/ des Chefarztes bzw. der Geschäftsführung mehr Druck auf die Kolleginnen ausgeübt werden könne, die sich während ihrer Schwangerschaft nicht in der Lage fühlen, weiter im Operationssaal zu arbeiten. Für sie würde der eigentliche Mutterschutz verloren gehen. Zu respektieren bleibt auch, dass Frauen die Sorge haben, sie selbst oder ihr Kind könnten trotz Schutzmaßnahmen durch das Fortführen der operativen Tätigkeit geschädigt werden. Entscheidend ist, dass jede Frau ihre Entscheidung zum Operieren in der Schwangerschaft freiwillig trifft und diese jederzeit von ihr widerrufen werden kann. „Nachteile aufgrund der Schwangerschaft… sollen vermieden oder ausgeglichen werden“ (§ 9 Abs. 1 BGBL. I S. 1231). Sollten ärztlich attestierte, gesundheitliche Umstände in der Schwangerschaft einer beruflichen Tätigkeit entgegenstehen, bleibt ein individuelles Beschäftigungsverbot unumgänglich. Der physische und psychische Schutz der Gesundheit der Frau und ihres Kind stehen an oberster Stelle (§ 9 Abs. 1 BGBL. I S. 1231).

Auch von Seiten der Arbeitgeberverbände gibt es kritische Anmerkungen, da mit Inkrafttreten des Gesetzes der Arbeitgeber verpflichtet ist, für jeden Arbeitsplatz eine Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen, auch wenn der Arbeitsplatz durch einen männlichen Kollegen besetzt ist.

Rechtlich schwierig ist sicher auch die Haftungsfrage. Mit der Verpflichtung der Durchführung von individuellen Gefährdungsbeurteilungen und der Sicherstellung des Arbeitsplatzes ist der Arbeitgeber ebenso aufgefordert, deren Einhaltung zu überwachen und zu kontrollieren. Nur dann kann er sich im Falle der Inanspruchnahme durch Dritte (z. B. durch Patienten) exkulpieren. Auch die Schwangere ist ihrerseits persönlich für die Einhaltung der vorgegebenen Schutzmaßnahmen verantwortlich. Sie haftet bei eigenmächtiger Nichteinhaltung derselben gegenüber dem Arbeitgeber, im Falle der Inanspruchnahme von Dritten gegenüber dem Arbeitgeber ggf. über den Innenregress [13, 14].

Damit das Gesetz ab 01.01.2018 mit dem Erfolg für die schwangere Ärztinnen umgesetzt werden kann, die ihre Tätigkeit bei intakter und gesunder Schwangerschaft fortsetzen will, bedarf es einer Zusammenarbeit nicht nur zwischen den Chefärztinnen und -ärzten der chirurgischen und anästhesiologischen Abteilung mit der Schwangeren, sondern auch mit der Geschäftsführung, Betriebsarzt, Personalabteilung, Sicherheits- und Strahlenschutzbeauftragten der Einrichtung sowie mit allen Kolleginnen und Kollegen einer Abteilung/Klinik. Mit Inkrafttreten des Gesetzes ist der Arbeitgeber aufgefordert, für jede Tätigkeit eine entsprechende Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen, die dann im Falle einer Schwangerschaft zeitnah für die schwangere Frau konkretisiert wird.

Auf der Internetseite www.opids.de stehen neben dem Positionspapier „Operieren in der Schwangerschaft“ Checklisten sowie Vorlagen zur Verfügung, die zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung als Grundlage herangezogen werden können. Weiterhin empfehlenswert ist ebenso z. B. die Erstellung von Positivlisten für operative Eingriffe in der eigenen Klinik/Abteilungen unter Berücksichtigung der Vorgaben durch das Mutterschutzgesetz. Beispielgebend ist das FamSurg – Projekt zur Förderung von Frauen und familienfreundlichen Strukturen in der Chirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck. Im verfassten Leitfaden (einzusehen über www.famsurg.de) sind z. B. mögliche weiterbildungsrelevante Prozeduren in der Viszeralchirurgie entsprechend des Ausbildungsstandes aufgeführt.

Befürchtungen bestehen allerdings hinsichtlich der in §9 Abs.2 BGBL. I S. 1231 beschriebenen „unverantwortbaren Gefährdung“. Frau Professor Dr. Dr. med. Sabine Wicker, Leiterin des Betriebsärztlichen Dienstes am Universitätsklinikum Frankfurt, befürchtet, dass viele betriebsärztliche Kollegen sagen: „ich weiß nicht was das ist, da sage ich mal lieber, die Beschäftigte soll da nicht arbeiten“[15]. Große Hoffnung wird daher in den Ausschuss für Mutterschutz gesetzt, der mit Erlass des Gesetzes etabliert wird (§30 BGBL. I S. 1238). Er arbeitet ehrenamtlich und beratend und ermittelt Art, Ausmaß und Dauer einer möglichen verantwortbaren Gefährdung einer Schwangeren. Gleichzeitig erarbeitet er sicherheitstechnische, arbeitsmedizinische und arbeitshygienische Regeln, die bei der Umgestaltung des Arbeitsplatzes hilfreich sind.

Fazit

Mit der Neuregelung des Mutterschutzrechtes sollen schwangere Chirurginnen mehr Flexibilität und größeren Entscheidungsspielraum für die Planung und Realisierung ihrer beruflichen Karriere erhalten. Die arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen sind besser an die medizinische Entwicklung angepasst und ermöglichen die Tätigkeit an einem Arbeitsplatz, der mutterschutzrechtlichen Bestimmungen entspricht. Die schwangere Mitarbeiterin erhält ein Mitspracherecht bei der Arbeitsplatzgestaltung. Sie hat ein Recht auf einen Arbeitsplatz im Operationssaal, der sowohl für sie als auch für ihr Kind Risiken reduziert. Dies sind große Schritte bezüglich Chancengleichheit. Wichtig ist allerdings, dass es eine freie Entscheidung der werdenden Mutter ist und entsprechende Institutionen bestehen, die diese Entscheidungsfreiheit sicherstellen. Viele Fragen – insbesondere versicherungsrechtlicher Art – bleiben noch offen und müssen in den verbleibenden Monaten geklärt werden. Die erfolgreiche Umsetzung des neuen Mutterschutzgesetzes ist vor allem für die Arbeitgeber eine große Herausforderung und ist stark davon abhängig, wie gut die verschiedenen Abteilungen innerhalb einer Klinik zusammenarbeiten.

Dieser Artikel ist bereits erschienen im Zentralblatt Chirurgie (DOI 10.1055/s-0043-121344 Zentralbl Chir 2017,142: 575-580).

Fritze-Büttner F, Dittmar R, Niethart M: Operieren während der Schwangerschaft. Passion Chirurgie. 2018 April, 8(04): Artikel 04_02.

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Autoren des Artikels

Profilbild von Fritze-Büttner

Dr. med. Frauke Fritze-Büttner

Leiterin Themen-Referat Familie & berufliche Perspektivenim BDCLeitende Oberärztin der Klinik für Allgemein- und ViszeralchirurgieSana Klinikum LichtenbergFanningerstr. 3210365Berlin kontaktieren
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Dr. rer. pol. Ronny Dittmar

ehem. Geschäftsführer des BDC
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Dr. med. Maya Niethard

Leiterin der Initiative Operieren in der Schwangerschaft (OPidS); Mitglied im Expert:innenausschuss für MutterschutzKlinik für TumororthopädieHelios Klinikum Berlin-Buch

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