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BVMed zu neuer PMV-Studie

In rund zwei Dritteln aller Fälle können Patienten mit wundrelevanten Diagnosen vor einem chronischen Verlauf bewahrt werden. Das zeigt eine neue Versorgungsforschungsstudie der Forschungsgruppe Primärmedizinische Versorgung (PMV) an der Universität Köln im Auftrag des Bundesverbandes Medizintechnologie, BVMed. Das ist ein wichtiger Erfolg, der bisher in dieser Art nicht erkennbar war und an dem die moderne Wundversorgung, wie sie seit vielen Jahren von Ärzten, Pflegekräften, Homecare-Unternehmen und Herstellern moderner Wundauflagen etabliert wurde, ihren gewichtigen Anteil hat. Die neue Studie kommt auf einer breiten Datenbasis zu dem Ergebnis, dass deutlich weniger Patienten an chronischen Wunden leiden, als bisher angenommen wurde. Bei 2,7 Millionen Patienten wurden wundrelevante Diagnosen festgestellt, von denen lediglich ein Drittel (890.000 Patienten) mit einem chronischen Verlauf konfrontiert ist. Bei zwei Dritteln der Patienten konnte die Wundbehandlung innerhalb von acht Wochen beendet werden.

Zum Hintergrund der Studie

Die Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden ist ein vieldiskutiertes Thema in der Fachöffentlichkeit. In einer alternden Gesellschaft scheint es unausweichlich, dass altersassoziierte Krankheitsbilder in unserem Alltag immer präsenter werden. Die Verantwortlichen in Medizin und Pflege, in Verbänden und Fachgesellschaften, bei den Krankenkassen sowie den sonstigen an der Versorgung Beteiligten machen sich daher ganz berechtigt Gedanken, wie mit diesen Entwicklungen umgegangen werden muss und welche Antworten gefunden werden müssen, um zukünftig eine gute Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten bzw. identifizierte Defizite bestmöglich zu beseitigen oder einzudämmen.

In allen Diskussionen und Publikationen um das Thema „chronische Wunden“ variieren die Aussagen zur Häufigkeit dieser Krankheitsbilder. Sowohl die Aussagen zur Prävalenz insgesamt wie zur Häufigkeit des Auftretens der wichtigsten Indikationen liegen weit auseinander. Ein Grund ist die Tatsache, dass es sich bei chronischen Wunden im eigentlichen Sinne häufig nicht um eigenständige Krankheiten handelt, sondern um Folgeschäden bestimmter Erkrankungen, die sich an der Haut manifestieren. Was unter „chronische Wunden“ subsummiert wird, sind unterschiedliche Phänomene mit unterschiedlichen Ursachen der Entstehung, die abhängig davon auch unterschiedlich behandelt werden müssen. Gemeinsam ist allen Phänomenen die Schädigung der Integrität Haut, deren Heilung wiederum häufig einheitlichen Bedingungen und Stadien folgt.

Weil „chronische Wunden“ keine einheitlichen Ursachen haben, spiegeln sie sich in den Dokumentations- und Abrechnungsdaten der Ärzte und Krankenkassen nur ungenügend wider. Die Auswertbarkeit der Daten ist höchst eingeschränkt und bedingt das Daten-Dilemma.

Aber ohne valide Versorgungsdaten sind eine solide Organisation und die Verbesserung der Versorgung der Patienten schlecht möglich.

Die Hersteller moderner Wundbehandlungsprodukte im BVMed haben deshalb vor rund zwei Jahren die Forschungsgruppe Primärmedizinische Versorgung (PMV) Köln beauftragt, die Versorgungsdaten einer großen Krankenkasse (der AOK Hessen) zu analysieren.

Methodik

Die Forschungsgruppe Primärmedizinische Versorgung (PMV) Köln hat ihre Studie zur Epidemiologie und Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden anhand von Routinedaten der AOK Hessen sowie der KV Hessen aus dem Jahre 2012 durchgeführt. Aus allen Versicherten wurde eine Zufallsstichprobe von 277.462 Versicherten untersucht (19 Prozent aller Versicherten). Aus der Studienpopulation wurden u. a. Versicherte mit den folgenden Indikationen selektiert: Dekubitus; Ulcus cruris; Diabetischer Fuß; posttraumatische Wunden; Verbrennungen/Verätzung.

Die Autorinnen identifizieren in einem ersten Schritt alle Wundpatienten, also Versicherte mit einer gesicherten Diagnose in den genannten Indikationsgebieten, bei denen neben der Diagnose mindestens eine wundrelevante Leistung oder Verordnung im Diagnosequartal dokumentiert war.

Da nicht alle Wunden chronisch werden, wird zusätzlich ein Chronizitätskriterium eingeführt. Es müssen mindestens zwei wundrelevante Leistungen oder Verordnungen dokumentiert sein, die mindestens acht Wochen auseinanderliegen. Damit gelingt es den Autoren, die Versorgungswirklichkeit differenzierter darzustellen und zwischen allen Patienten mit Wundbehandlung und den chronischen Wundpatienten zu differenzieren.

Die gewonnenen Ergebnisse aus der Untersuchung der Stichprobe der Versicherten der AOK Hessen wurden abschließend auf die Gesamtbevölkerung extrapoliert. Da die Stichprobenpopulation die Bevölkerung Deutschlands nicht uneingeschränkt repräsentiert, erfolgte zum Ausgleich eine Alters- und Geschlechtsstandardisierung.

Ergebnisse

1. Prävalenz

Hochgerechnet auf Deutschland betrug die Anzahl der Wundpatienten im Jahr 2012 rund 2,7 Mio. Patienten, was einer Prävalenz von 3,3 Prozent entspricht. Rund 890.000 Patienten (ein Drittel) waren mit einem chronischen Krankheitsverlauf konfrontiert, das heißt es wurde eine Wundbehandlung von mehr als acht Wochen dokumentiert. Damit beträgt die Prävalenz chronischer Wundpatienten 1,1 Prozent.

2. Indikationen

Die häufigste Indikation bei chronischen Wunden war das Ulcus cruris mit 432.778 Behandlungsfällen, gefolgt vom Diabetischen Fußsyndrom mit 190.466 Fällen und dem Dekubitus mit 165.319 Fällen sowie den posttraumatischen Wunden mit 110.259 dokumentierten Krankheitsfällen. Jeweils rund 10 Prozent der Wundpatienten (nach enger und weiter Definition) hatten Diagnosen aus mehr als einem Indikationsbereich.

3. Altersverteilung

Ab dem 70. Lebensjahr steigt bei Männern wie bei Frauen die Prävalenz exponentiell an. In der Kohorte der 70 bis 80-Jährigen beträgt sie 2,9 Prozent, bei den 80 bis 90-Jährigen 5,8 Prozent und bei den über 90-Jährigen erreicht sie die Spitze mit 11 Prozent.

4. Anteil der Chronifizierung

Der Anteil der chronischen Wundpatienten in Relation zur Gesamtheit der Wundpatienten ist nach den Indikationen sehr heterogen. Bei jedem zweiten Patienten mit Dekubitus und Diabetischem Fußsyndrom ist ein chronischer Verlauf dokumentiert, gefolgt vom Ulcus cruris bei mehr als jedem Dritten. Bei den anderen untersuchten Indikationen ist der chronische Verlauf seltener als bei jedem fünften Patienten zu beobachten.

5. Multimorbidität und Multimedikation

84,6 Prozent der chronischen Wundpatienten leiden unter Mehrfacherkrankungen (Multimorbidität, versus 52 Prozent in der Kontrollgruppe) und 40,4 Prozent erhalten eine Multimedikation, beides Werte, die deutlich über den Werten der Kontrollgruppe liegen.

6. Pflegebedürftigkeit

63 Prozent der chronischen Wundpatienten erhielten Pflegeleistungen gemäß SGB XI. Der Anteil der Patienten mit chronischen Wunden, die Leistungen im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nach SGB V erhielten, lag fast zwölfmal so hoch im Vergleich zur Kontrollgruppe (43 Prozent vs. 3,7 Prozent). Bei den Leistungen nach dem SGB V wurden nur die wundrelevanten Komplexe in die Auswertung einbezogen.

7. Verbandmittelversorgung

Bei 86 Prozent der chronischen Wundpatienten wurden Verbandstoffe verordnet, bei 14 Prozent wurden keine entsprechenden Verordnungen dokumentiert.

8. Stationäre Behandlung

Rund zwei Drittel der chronischen Wundpatienten wurden 2012 stationär behandelt. Dieser Anteil lag dreimal so hoch wie bei der Kontrollgruppe.

9. Verteilung der Diagnose stellenden Ärzte

Die Hausärzte stellen mit weitem Abstand aller Arztgruppen am häufigsten die wundrelevanten Diagnosen. Daneben dokumentieren bei chronischen Wundpatienten Hautärzte (13 Prozent), Chirurgen (9 Prozent), Poliklinik/Krankenhaus (7 Prozent) und Gefäß- und Unfallchirurgen (7 Prozent bzw. 6 Prozent) die wundrelevanten Diagnosen.

Fazit

3,3 Prozent der Versicherten oder 2,7 Millionen Menschen mussten sich 2012 einer Wundbehandlung unterziehen. Damit stellt das Thema ein relevantes und verbreitetes Krankheitsphänomen dar, das die Aufmerksamkeit aller am Versorgungsprozess Beteiligten erfordert.

Während zwei Drittel der Betroffenen einen normalen Behandlungsverlauf und eine Abheilung binnen acht Wochen erleben, muss ein Drittel einen langwierigen, chronischen Verlauf erleiden.

Der typische „chronische Wundpatient“ ist höheren Lebensalters, überwiegend multimorbid und überdurchschnittlich pflegebedürftig. Er erhält eine Multimedikation und muss sich dreimal häufiger einer stationären Behandlung unterziehen. Es handelt sich überwiegend um alte, kranke und pflegebedürftige Menschen, die ganz besonders auf die Hilfe und Unterstützung ihrer Angehörigen und der Gesellschaft angewiesen sind.

In Zusammenarbeit mit allen anderen Beteiligten in Medizin, Pflege, bei den Krankenkassen und sonstigen Akteuren setzen sich die Hersteller moderner Wundbehandlungsprodukte für höhere Abheilungsraten, kürzere Behandlungszeiten, weniger Amputationen, generell weniger stationäre Behandlungen, für mehr Patientenadhärenz und zufriedenere Patienten ein.

Die Vorschläge für die Verbesserung der Versorgung aus Sicht der meisten Fachleute sind:

bessere und verbindlichere Aus- und Weiterbildung der Ärzte und Pflegefachkräfte zur Diagnostik und phasengerechten Kausaltherapie von Wunden,

stärkere Vernetzung der Professionen und Sektoren,

Ergänzung der hausärztlichen Grundversorgung durch interdisziplinäre und interprofessionelle Wundnetze und -zentren,

angemessene Vergütung qualifizierter Wundbehandlung für Ärzte und Pflegefachkräfte,

Anreize für erfolgreiche Behandlungsergebnisse, wie z. B. für den Aufwand zum Erhalt der Extremität anstelle der Amputation und

Fallmanagement für Risikopatienten.

Die Ergebnisse der PMV-Studie sind dann wertvoll, wenn sie nicht vordergründig der akademischen Diskussion dienen, sondern helfen, den praktischen Versorgungsalltag zu verbessern.

Mehr Informationen zur „Initiative für moderne und phasengerechte Wundversorgung im BVMed“ und die Studie als Download unter www.info-wundversorgung.de.

Schmitt J. M. Moderne Wundversorgung hilft, Patienten vor chronischen Wunden zu bewahren. 2016 Juni, 6(06): Artikel 02_06_02. 

 

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