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Betrifft: Artikel aus Passion Chirurgie 06/II/2022: „Klimagerechtes Krankenhaus – Haben Einwegartikel darin eine Zukunft?“ von Lehmann F, Hübner A, Remmele J, Börner N, Samwer C, Prütting J. Sie finden den Artikel HIER.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

es ist für einen kalendarisch eigentlich im Ruhestand befindlichen – inzwischen auch schon 70 Lenze zählenden Chirurgen „alter Schule“ – wie mich eine ambivalente Information, dass die globale Klimakrise auch Meinungsführer der deutschen chirurgischen Fachgesellschaft dazu bewegt, das Prinzip der Single-Use-Wegwerf-Instrumente samt der Einmal-OP-Wäsche ernsthaft in Frage zu stellen. Ambivalent, da es m. E. in der Frage Klimarettung eher 5 nach 12 ist als davor, andererseits wird bestätigt, was die eigene chirurgische Schule (Essen) schon 1980 und 1990 vorhergesehen hat. (s. a.: Club of Rome: „Die Grenzen des Wachstums“ 1972.)

Zitat heute, aus o. g. Beitrag: „Hier ist eine interdisziplinäre, an evidenzbasierten Kriterien ausgerichtete Diskussion (…) notwendig.“ Wo ist bitte noch Diskussionsbedarf? Der nachhaltige Weg in die Zukunft wäre kurz, effektiv und erfolgreich, wenn man sich (ausnahmsweise) der Instrumententechnologie vor 30 Jahren erinnerte. Der Klimaschutz erfordert Sofortmaßnahmen, nicht in zwei oder in fünf Jahren („Time is running out“ Greenpeace). Ich vermute mit einigem Wahrscheinlichkeitsanspruch, dass die heute verantwortliche Chirurgen:innen-Generation nicht weiß, dass gängige alltägliche Klammernaht- und Schneide-Instrumente (CEEA, GIA,TA, PPH usw.) ursprünglich als wiederverwendbare Mehrfachgeräte entwickelt und auf den Markt gebracht wurden. Dasselbe gilt für Laparoskopie-Trokare. Selbst zu Beginn der MIC-Revolution Anfang der Neunziger Jahre war die Frage der Mehrfachinstrumente nicht entschieden. Sie wurde in den kommenden Jahren aufgrund massiven Drucks der Medizinproduktehersteller und unter billigender Duldung wichtiger universitärer chirurgischer Meinungsführer gegen medizinische und ökologische Vernunft durchgesetzt. In den Nuller Zweitausender Jahren wurde hinter vorgehaltener Hand die Nachricht verbreitet, dass zwei konkurrierende chirurgische Schulen bestünden, die entweder mit der einen oder der anderen Weltmarktführer-Firma kooperieren, und dies inoffiziell, under cover (Stichwort: Interessenkonflikt).

Ich erinnere mich sehr gut an einen aus heutiger Sicht epochalen Vortrag des leider kürzlich verstorbenen Ordinarius in Aachen, Prof. Volker Schumpelick, beim deutschen Chirurgenkongress 1992 in München, Thema: „Laparoskopische Herniotomie: Contra“. Im Fokus stand die virtuelle Umsatz- und Gewinnerwartung der beiden schon damals aktiven Weltmarktführer für Klammernaht und Schneideinstrumente. Anhand anschaulicher Balkendiagramme hat Schumpelick den rasanten Fallzahlanstieg der Industrie hochgerechnet über ein oder zwei Dezennien. Dieser Vortrag (Nr. 196 des Programms) ist nicht mehr zitierbar, da in Langenbecks Archiv nicht als Abstract publiziert und auch später nicht als Originalarbeit. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt … In der Realität kam es bekanntermaßen schlimmer als in der warnenden Prognose von Schumpelick. TEPP und TAPP lösten die Shouldice-Methode ab, dann kam die laparoskopische Kolonchirurgie. Unseren damaligen chirurgischen Lehrern an Universitäten, beispielhaft: Chr. Herfarth, Heidelberg, F.P. Gall in Erlangen, F.W. Schildberg in Lübeck, dann in München, dem zu früh verstorbenen Rudolf Pichlmayr in Hannover, Karl Kremer in Düsseldorf, H-J. Peiper in Göttingen und meinem Lehrer F.W. Eigler in Essen – war bewusst, dass der Weg in die Wegwerfgesellschaft ein Irrweg war. Sie konnten aber der zunehmenden Macht des Geldes, d. h. der Übernahme der Steuerung im Gesundheitswesen durch die Kaufleute und Gesundheitsmanager, nicht Paroli bieten. Auch hatte das Thema aus Sicht der universitären, forschenden Chirurgie nachrangige Bedeutung.

Heute, da ein relevanter Beitrag der Chirurgie – weltweit – zur Reduktion des Plastikmüllbergs dringend nötig wäre, kann man nur an die ökologische Vernunft der medizinischen Entscheidungsträger und der Medizinprodukte-Industrie appellieren, in kürzester Zeit die Blaupausen der Mehrfachinstrumente aus der scheinbaren Mottenkiste des vorigen Jahrhunderts hervorzuholen. Ernstzunehmende Klimaforscher sehen den Kipppunkt („Point of no return“) in Sichtweite: 2030.

Aus Fehlern lernen, das ist eine respektable und zu bewahrende chirurgische Tradition.

Mit freundlichem Gruß

Prof. Dr. med. Ulrich Krause
Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurg
Lauterburgstr.21
96472 Rödental
[email protected]

Kraus U: Leserbrief. Passion Chirurgie. 2020 Oktober; 12(10): Artikel 04_06.

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