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Bericht vom 2. Hernia Basic Kurs in Kigali und Rwamagana in Ruanda

Hernien gehören zwar weltweit zu den häufigsten chirurgischen Erkrankungen, dennoch bestehen erhebliche nationale Unterschiede in der operativen Versorgung von Hernien. Während in Europa und Nordamerika nahezu alle Patienten mit Hernien operativ versorgt werden, so können in vielen – vor allem auch afrikanischen Ländern – aufgrund der fehlenden Kapazitäten nur ein Bruchteil (vermutlich weniger als 10 Prozent) operativ versorgt werden. Zudem werden Leistenhernien-Patienten in Afrika noch heute in den meisten Fällen operativ in der Technik nach Bassini versorgt.

Die operative Versorgung mit Kunststoffnetzen ist seit mehr als 20 Jahren zunehmend weltweit etabliert und wird in den evidenzbasierten Leitlinien empfohlen. Für bestimmte Situationen sind durchaus auch heute noch kunststoffnetz-freie Operationsverfahren sinnvoll. Unabhängig von der medizinischen Indikation für oder gegen ein Netzverfahren sind in vielen afrikanischen Krankenhäusern Kunststoffnetze aufgrund vergleichsweise hoher Kosten jedoch häufig nicht verfügbar.

Vergleicht man allein die Anzahl der chirurgischen Fachärzte in Afrika mit denen in Europa und Nordamerika muss man die Situation in vielen Ländern Afrikas als geradezu dramatisch einschätzen. Ein Hundertstel an Chirurgen (gemessen an der Anzahl in Europa) muss sich in den meisten Ländern Afrikas in der Regel nicht nur mit chirurgischen Problemen befassen, sondern häufig auch benachbarte Fachdisziplinen wie Gynäkologie, Urologie, Unfallchirurgie und Orthopädie übernehmen.

Aufgrund der fehlenden Ressourcen in vielen afrikanischen Staaten kommt einer standardisierten fachspezialisierten Weiterbildung der regionalen Chirurgen eine ganz besondere Bedeutung zu.

Entwicklung des standardisierten Hernia-Basic-Kurses

Die Hilfsorganisationen OperationHernia und Chirurgen für Afrika entwickelten 2016 gemeinsam einen standardisierten Weiterbildungskurs für junge Chirurgen in Afrika.

Dieser spezifisch auf die Bedürfnisse in afrikanischen Ländern entwickelte Hernia-Basic-Kurs besteht aus einem zweitägigen theoretischen Teil und einem 5-tägigen praktischen Teil.

Die Teilnehmerzahl ist auf 20 Chirurgen je Kurs begrenzt, um ein möglichst intensives Training zu ermöglichen. Der theoretische Teil wird in der Regel in einem zentral gelegenen überregionalen Krankenhaus oder einer der Universitäten des Landes veranstaltet. Dabei werden folgende Themen abgehandelt:

  • Nationale Epidemiologie
  • Anatomie der Leistenregion und der Bauchwand
  • Evidenz Pure-Tissue-Repair
  • Evidenz Mesh-Repair
  • Lokalanaesthesie
  • Videodemonstration Shouldice Repair
  • Videodemonstration Lichtenstein Repair
  • Kindliche Hernien
  • Ventralhernien
  • Komplikationsmanagement

Im 5-tägigen praktischen Teil werden standardisierte Hernien-Operationen in Kleingruppen (3 bis 4 Weiterbildungsassistenten je Tutor) in verschiedenen Referenzkrankenhäusern des Landes durchgeführt. Dabei sind verschiedene Stufen der Lehrassistenz klar definiert (Abb.1).

Abb. 1: Trainingsstufen der Lehrassistenz

Inhaltlich liegt der Fokus des praktischen Kursteils auf folgenden Operationstechniken:

  • Versorgung von kindlichen Hernien mit Bruchsackresektion
  • Durchführung der Lokalanästhesie
  • Standardisiertes Shouldice Repair
  • Standardisiertes Lichtenstein Repair

Wesentlicher Bestandteil des Kurses ist eine kontinuierliche Evaluation aller Inhalte. Dabei werden sowohl Trainees als auch Trainer gegenseitig bewertet. Nach Abschluss des Kurses werden alle Teilnehmer durch die Trainer beurteilt, welche Kompetenz sie im Rahmen des Kurses erreicht haben (Abb. 2).

Afrikanische Hernien sind in der Regel mit europäischen nicht zu vergleichen. Es besteht in Afrika ein deutlich höherer Anteil an Notfalleingriffen mit Einklemmungen und Inkarzerationen. Viele, vor allem junge Patienten haben überwiegend indirekte bis skrotale, bisher nicht operierte kindliche Hernien. Häufig sind diese auch mit einer Hydrozele assoziiert. In vielen Fällen ist bei diesen Konstellationen ein netzfreies Operationsverfahren eine sinnvolle Alternative.

Abb. 2: Kompetenzstufen zur Durchführung von Operationen

Umsetzung

Die Chirurgen für Afrika führen gemeinsam mit der britischen Organisation OperationHernia seit 2014 jährlich humanitäre Einsätze in verschiedenen Krankenhäusern Ruandas durch. Im Jahr 2016 und 2017 wurden oben beschriebene Hernia-Basic-Kurse in Ruanda veranstaltet.

Ruanda, das Land der Tausend Hügel, ist eines der bevölkerungsdichtesten Staaten Afrikas mit knapp 12 Millionen Einwohnern auf einer Fläche die den deutschen Bundesländern Hessen oder Rheinland-Pfalz und Saarland zusammen entspricht. Das Gesundheitssystem in Ruanda wurde in den letzten Jahren in mancherlei Hinsicht mustergültig entwickelt. Nahezu jeder Einwohner Ruandas ist mit einem minimalen Geldbetrag krankenversichert und hat somit Zugang zu einer medizinischen Versorgung. Für diese 12 Millionen Einwohner in Ruanda gibt es allerdings lediglich ca. 60 Chirurgen!

Die Koordination der humanitären Einsätze der Chirurgen für Afrika in Ruanda übernahm Pastor Osee Ntavuka von der Hilfsorganisation Rwanda Legacy of Hope, der auch den Kontakt zum Gesundheitsministerium in Ruanda herstellte. Der Hernia-Basic-Kurs wurde seit 2016 als nationaler Weiterbildungskurs anerkannt und mit insgesamt 35 CPD Credits = Weiterbildungspunkten zertifiziert.

AUF 12 MILLIONEN MENSCHEN KOMMEN CA. 60 CHIRURGEN!

Dank der großzügigen finanziellen Unterstützung durch die Rotariervereinigung „Zitadelle Spandau“ in Berlin konnte am Provincial Krankenhaus in Rwamagana bereits im Jahre 2016 ein Weiterbildungszentrum für Hernienchirurgie ausgestattet werden.

2017 fand der theoretische Teil des Hernia-­Basic-Kurses erstmals an der Universität CHUK in Kigali statt. Daran anschließend wurden je sieben Trainees am CHUK in Kigali und im Provincial Hospital in Rwamagana eine Woche lang praktisch unterrichtet. In drei weiteren Distrikt-Krankenhäusern (Gahini, Kigeme und Kilinda) wurden weitere lokale Ärzte gezielt hernienchirurgisch weitergebildet. Das 32-köpfige Deutsch-Britische Team bestand aus Chirurgen, Anästhesisten, Anaethesie-Schwestern und OP-Schwestern und hat in den beteiligten Krankenhäusern die regionalen OP-Teams nicht nur chirurgisch aus- und weitergebildet. Alle Trainees haben innerhalb dieser Weiterbildungswoche zahlreiche Hernieneingriffe selbstständig und unter unserer Supervision durchgeführt. Alle Operationen verliefen komplikationslos und jeder operierte Patient konnten noch während unseres Aufenthaltes nach Hause entlassen werden. Am Ende des Hernia-Basic-Kurses konnten nahezu alle Trainees Leistenhernien-Operationen selbstständig oder unter geringer Supervision durchführen. Alle Kursteilnehmer erhielten über einen externen Datenzugang Videos, alle Präsentationen des Kurses, wissenschaftliche Literatur und zusätzliches Informationsmaterial. Zusätzlich wurde erneut zahlreiches medizinisches Equipment zum Verbleib nach Ruanda transportiert.

Das mediale Interesse an dem diesjährigen Einsatz war erneut beeindruckend. Sowohl das Fernsehen sowie einige Zeitungen berichteten im Verlauf der Woche über diesen Workshop. Während des Einsatzes ist ein kurzer Dokumentarfilm mit dem Titel „Participatience“ des Filmemachers Felix Vollmann entstanden.

Kurz vor der Abreise erhielt ich als Leiter des Deutschen Teams noch die Möglichkeit mit der amtierenden Gesundheitsministerin Ruandas, Fr. Dr. Diane Gashumba zusammenzukommen und ihr persönlich unser Projekt vorzustellen.

Dank

Den ungeheuerlichen Enthusiasmus und Wissensdurst der jungen Chirurgen erleben zu dürfen war sicher eine der eindrucksvollsten Erfahrungen (Abb.3). Innerhalb der kurzen gemeinsamen Zeit ist eine sehr persönliche und kollegiale Partnerschaft entstanden.

Abb. 3: Feedback Kommentar eines Kursteilnehmers: „…thank you to renew my enthusiasm and broaden my mind…”

Ohne das selbstlose Engagement aller Freiwilligen wäre solch ein nachhaltiger Einsatz undenkbar. Der Fluggesellschaft Brussels Airlines, die uns bei Buchung/Umbuchung und Durchführung des Transportes unkompliziert und großzügig unterstützte, sei besonders gedankt. Wir danken dem Botschafter Ruandas in Deutschland, seiner Exzellenz Herrn Igor Cesar sowie seinen Mitarbeitern für die konstruktive und unkomplizierte Unterstützung. Last but not least gilt ein besonderer Dank allen privaten und kommerziellen Spendern, ohne deren finanzielle Unterstützung das ganze Projekt undenkbar wäre.

Ausblick

Für 2019 ist ein erneuter Einsatz in Ruanda geplant. Dann soll neben einem erneuten Hernien-Basiskurs zusätzlich ein Aufbaukurs für alle bisherigen Teilnehmer und alle fortgeschrittenen Chirurgen stattfinden.

Darüber hinaus bestehen derzeit Verhandlungen mit weiteren afrikanischen Ländern, um dieses nachhaltige hernienchirurgische Kurskonzept in weiteren Ländern zu etablieren.

Literatur erhalten Sie via [email protected] beim Verfasser.

Lorenz R, Lechner M, Frunder A: Hernienschule für Afrika. Passion Chirurgie. 2018 April, 8(04): Artikel 09.

Autoren des Artikels

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Dr. med. Ralph Lorenz

1. Vorsitzender des BDC LV|BerlinHavelklinik Berlin3+CHIRURGENKlosterstr. 34/3513581Berlin kontaktieren
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Dr. med. Michael Lechner

Universität SalzburgMüllner Hauptstraße 485020Salzburg, Österreich
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Dr. med. Albrecht Frunder

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