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©iStock/Pogonici

Dr. Stephan Dittrich über die Erprobung der Hybrid-DRG

Der Ruf nach einer sektorenübergreifenden Versorgung und Vergütung wird immer lauter. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fordert Modelle zur besseren Zusammenarbeit von Kliniken und Praxen. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll zudem im Auftrag der Koalition bis 2020 Vorschläge für eine übergreifende Versorgung erarbeiten. Der Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC) und die Techniker Krankenkasse (TK) haben vor drei Jahren ein Pilotprojekt in Thüringen ins Leben gerufen. Seit knapp einem Jahr läuft es laut Initiator, Dr. Stephan Dittrich, erst richtig an. Eine einheitliche Vergütung für gleiche Leistungen soll sektorale Anreize beseitigen erläutert der Chirurg im Interview.

opg: Wann hat das Projekt begonnen? Wie lange soll es laufen?

Dittrich: April 2015 wurde der Vertrag unterzeichnet. Im Oktober 2017 ist es offiziell gestartet. Die Umsetzung in den Kliniken braucht immer ein halbes Jahr, so dass das Projekt im Grunde erst gerade angelaufen ist und jetzt erst die ersten Fälle reinkommen – 100 sind es bislang. Das Projekt soll vier Jahre laufen.

opg: Was ist die Grundidee des Modellprojekts?

Dittrich: Es geht bei dem Projekt um die Frage, was ist für den Patienten sinnig und notwendig mit einer klaren Definition von Indikation, Behandlungspfad und Abschluss mit entsprechendem Follow-up, unabhängig von sektorenspezifischen Bedingungen, so dass ein und dieselbe Leistung in der Klinik, in der Ambulanz oder der Praxisklinik ähnlich oder gleich honoriert wird. Denn einem Patienten, der einen Leistenbruch hat, ist es völlig egal, wo er operiert wird, Hauptsache es läuft gut und er hat hinterher keine Probleme mehr.

opg: Was sind die Vorteile?

Dittrich: Der Vorteil ist, dass sämtliche sektorale Denke und Anreize, die ökonomisch, medizinisch, föderal bestehen, außen vorgelassen werden und patientenorientiert behandelt wird. Die Indikation entscheidet, wer was wann wo mit welchen Mitteln macht. Kosten und Krankenhausaufenthalte könnten auf diese Weise möglicherweise gesenkt werden – aber das sind alles Sekundärfragen. Ambulant heißt, dass es für Kostenträger nicht unbedingt billiger ist. Klar schlagen die Personal- und Infrastrukturkosten in den Kliniken hoch zu buche, doch die OPs selbst sind ähnlich teuer. Ein weiterer Vorteil ist, dass man jetzt zum ersten Mal eine saubere Kostenkalkulation durchführen und herausfinden kann, was dieselbe Behandlung in der Klinik und in der Praxis kostet. Momentan ist das alles Verhandlungssache und Mystik, das sagt auch der Sachverständigenrat. Wenn wir tatsächlich an der Schnittstelle ambulant-stationär eine neue Versorgungsschiene aufmachen wollen, was allgemein gefordert wird, dann braucht es dafür ein sauber kalkuliertes und transparentes Honorierungssystem. Das Pilotprojekt ist geeignet das auszuloten.

Dr. med. Stephan Dittrich

  • Facharzt für Chirurgie
  • Regionalvertreter der Niedergelassenen im BDC (2007 bis 2018)
  • Vizepräsident des Bundesverband Ambulantes Operieren e.V.
  • Vorstandsmitglied der Mitteldeutschen Chirurgen Vereinigung e.V.
  • Kooptiertes Vorstandsmitglied der Thüringischen Gesellschaft für Chirurgie e.V.

 

opg: Ein „indikationsbezogenes“ Projekt?

Dittrich: Wir haben eine Indikation – zum Beispiel einen Leistenbruch – definieren genau, wann ein Leistenbruch operationspflichtig ist, wie sind die Nebenerkrankungen, ob die Behandlung potenziell ambulant zu behandeln oder ob es ein ambulant-stationärer Krankenhausfall ist. Das Ganze wird dokumentiert. Dann wird der Patient dort operiert, wo es für ihn am sinnvollsten ist – entweder rein ambulant oder er bleibt ein oder zwei Tage auf Station. Am Ende gibt es einen Nachbericht über die OP. Und die operierende Einrichtung behält die Verantwortung für den Patienten bis zum Abschluss. Nach vier bis sechs Wochen gibt es einen Abschlussbericht mit klinischer Untersuchung, mit Patientenbefragung, Dokumentation mit Qualitätskriterien. Nach einem Jahr soll es ein Follow-up geben, dann werden die Ergebnisse angeschaut.

opg: Wie viele Kliniken und Praxen machen bei dem Projekt mit und war es schwer, diese für das Vorhaben zu gewinnen?

Dittrich: 27 von 32 Klinken in Thüringen, die infrage kamen, hatten Interesse gezeigt und wollten mitmachen. Aktuell sind acht Kliniken unter Vertrag. Von den niedergelassenen Chirurgen haben wir 14 Praxen im Umfeld dieser Kliniken einbezogen. Vorbehalte gab es angesichts der geringen Fallzahlen eine Routine aufzubauen.

opg: Warum wurde Thüringen für das Projekt ausgewählt?

Dittrich: Da gibt es mehrere Gründe. Thüringen ist ein Flächenland. In den einzelnen Fachbereichen gibt es keinen so starken Wettbewerb zwischen ambulanten und stationären Leistungserbringern, wie dies etwa im Ballungsraum München der Fall ist. Zwischen den Fachgesellschaften, Kliniken, niedergelassenen Ärzten, KV, Landesärztekammer gibt wa eine gewisse Harmonie, eine Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit. Wir haben mit der NAO GmbH in Thüringen ein starkes Netzwerk, dass das Management komplett übernimmt: Abrechnungen und Filemanagement, und das alles IT-gestützt. Die Techniker Krankenkasse ist zudem in Thüringen nicht so stark vertreten, dass auftretende Probleme gleich systemrelevant wären.

opg: Welchen Part übernimmt die Techniker Krankenkasse? Welche Kosten entstehen?

Dittrich: Die TK hat sich als Kostenträger zur Verfügung gestellt. Das Ganze kostet nicht mehr als die Regelversorgung. Wir haben eine Hybrid-DRG gebildet – das sind die gewichteten Ausgaben aus bisherigen ambulanten und stationären Leistungen bei gleichen Indikationen. Das heißt, nur ambulant-sensitive Krankenhausfälle wurden berücksichtigt. Daraus wird ein gewichteter Mittelwert gebildet. Die Kasse trägt das Morbiditätsrisiko. Der Preis für den Leistenbruch entspricht damit in etwa der bisherigen Regelversorgung.

opg: Taugt das Konzept, um es auf andere Versorgungsbereiche zu übertragen? KBV-Vorstand Dr. Gassen hält von einer Hybrid-DRG nichts und will ein ganz neues Honorierungssystem.

Dittrich: Die Zusammenfassung von EBM-und DRG-Leistungen als Hybrid-System ist für das Projekt eine praktikable Honorierungsplattform, so dass man zwischen Klinik und Niederlassung eine harmonisierte Vergütung hat, um sektorale Anreize auszuschalten. Ziel ist, dass gleiche Leistungen gleich vergütet werden. Voraussetzung dafür ist eine saubere Kalkulation der Leistungen. Wie man das dann nennt, ist egal. Vorteil an einer DRG-basierten Kalkulation ist, dass es regionalisierbar ist anhand des Landesbasisfallwertes und die Kliniken einen einheitlichen Automatismus haben, anstatt das über unterschiedliche Honorare im ambulanten Bereich diskutiert werden muss. Das EBM-System ist mit Punkten und Orientierungspunktwert einfach ungeeignet für solche Fälle, wie wir sie im Schnittstellenbereich haben. Gesundheitsexperten und die KBV reden seit mehr als 15 Jahren von einer integrierten Versorgung und wenn es dann einer tut, dann sagen sie, wir wollen es anders haben. Wenn Herr Gassen keine Kreuzung zwischen Esel und Pferd haben will, sage ich: selbst wenn dabei ein Maultier herauskommt, dann kann es den Karren aus dem Dreck ziehen und ist dabei ein sehr genügsames Tier, während das Pferd weiter wiehert und der Esel weiter ia sagt. Zudem braucht es zu lange, um ein komplett neues Honorierungssystem auf den Weg zu bringen. Als Hilfsbrücke ist die Hybrid-DRG erst einmal anwendbar und für jede Kasse transparent, man kann nachrechnen, wie man auf den Preis kommt. Vor allem haben wir momentan drei Vergütungssysteme – vertragsärztlich ambulantes Operieren nach EBM mit den budgetierten ambulanten Leistungen, das ambulante Operieren nach § 115 SGB V, wo die adjuvanten Leistungen nicht budgetiert sind aber trotzdem nach EBM abgerechnet wird, und wir haben das kurzstationäre Operieren nach DRG mit Abschlag. Das muss sich ändern.

opg: Für wen ist eine sektorenübergreifende Versorgung nicht geeignet?

Dittrich: Es braucht einen klaren Anfangs- und Endpunkt einer Erkrankung. Um Fallpauschalen abzubilden, bietet sich der gesamte operative und interventionelle Bereich an. Viele Herzschrittmacher werden ambulant implantiert. Da gibt es ein weites Feld, was ambulant machbar ist. Das Projekt wäre für chronische Erkrankungen und Multimorbide aus meiner Sicht nicht geeignet, weil es keinen Anfang und kein Ende gibt. Da müssen andere Kriterien greifen. Es geht darum, für die Fälle, die ambulant wie stationär behandelt werden können eine Regelung zu finden, ohne dass diese durch sektorale Befindlichkeiten getriggert ist. Alles das, was zuvor vollstationär behandelt werden musste, bleibt auch im Krankenhaus. Es geht nicht darum, die Leute massenhaft aus den Kliniken zu holen.

opg: Was sind Ihre Forderungen an die Politik?

Dittrich: Dass Leute in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe über das Thema reden, ohne selbst sektoral behaftet sind und man frei von sektoralen Befindlichkeiten die Dinge betrachtet, wie wir es aktuell in Thüringen machen. Das zweite wäre: Wenn man eine solche harmonierte Versorgung und Vergütung haben will, sollte ein entsprechender Rechtsrahmen vorgegeben werden – und zwar im Sozialgesetzbuch, Bundesmantelvertrag und den gesamten Richtlinien. Denn die Rahmenbedingungen, um im Schnittstellenbereich zu arbeiten, sind bisher noch nicht geschaffen worden.

opg: Wird das Pilotprojekt zu einem einheitlichen Vergütungssystem in der Praxis führen?

Dittrich: Deswegen machen wir es. Der Sachverständigenrat sollte das aufgreifen und empfehlen, es weiterzuführen, weil es ein Lösungsvorschlag und er patientenorientiert ist.

Quelle: Presseagentur Gesundheit, Albrechtstraße 11, 10117 Berlin, www.pa-gesundheit.de, 12.10.2018

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