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Vorgeschichte und Sachverhalt

Im August 2011 injiziert ein Medizinstudent im Praktischen Jahr (nachfolgend „der Student“) ein oral zu verabreichendes Antibiotikum intravenös. Das Kind – ein damals zehnmonatiger Säugling – verstirbt in der Folge an einem anaphylaktischen Schock. Verordnet war sowohl ein oral zu verabreichendes Antibiotikum (A) als auch ein intravenös zu verabreichendes Antibiotikum (B); letzteres sollte in die liegende Infusion injiziert werden. Beide Antibiotika waren jeweils in einer üblichen Spritze aufgezogen und konnten auf liegende Venenkatheter/Dreiwegehähne aufgesetzt werden. Die Spritze mit Antibiotikum A war nicht beschriftet, ihr Konus mit einem „roten Kombistopper“ versehen. Die Spritze mit Antibiotikum B war beschriftet (Patientenname, Ort und Zeit, Medikament und Dosierung), mit einer aufgesteckten Kanüle versehen und lag an der „Spritzenecke“ des Stationszimmers. Unmittelbarer Anlass für die Injektion von Präparat A war das Hereinstellen eines Tabletts mit der entsprechenden Spritze ins Patientenzimmer durch eine Krankenschwester, in dem der Angeklagte beschäftigt war. Er hat dies offenbar als Auftrag zur Injektion (miss-) verstanden.

Der Student befand sich im sechsten Monat seines Praktischen Jahres. Er sei in die Regularien der Spritzenapplikation eingewiesen gewesen, er hatte zuvor eine Ausbildung als Rettungssanitäter absolviert.

Das Amtsgericht Bielefeld verurteilte den Studenten wegen fahrlässiger Tötung: Er habe ohne ausdrücklichen Auftrag gehandelt, er habe den vermeintlichen Auftrag nicht kritisch und gewissenhaft überprüft, er hätte wissen müssen (habe gewusst), dass sich Spitzen für die parenterale und für die enterale Injektion unterscheiden (Spritzeneck /Beschriftung/Kanüle vs. fehlende Beschriftung/außerhalb der Spritzenecke/Kombistopper), und er habe es versäumt, bei Unklarheit wenigstens nachzufragen [1].

Nachdem der Student gegen das Urteil Berufung eingelegt hatte, bestätigte das Landgericht Bielefeld die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung, reduzierte jedoch die Zahl der Tagessätze (sodass die Verurteilung nicht im polizeilichen Führungszeugnis auftaucht). Für das LG Bielefeld waren die selben Überlegungen entscheidungsleitend; auch dieses Gericht sah eine „grobe Verletzung der Sorgfaltspflichten“ auf Seiten des Studenten. Zusätzlich stellte es jedoch fest: „Durch die Verwendung normaler, unbeschrifteter Spritzen für die orale Medikationsvergabe war in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in D. eine gefahrenträchtige Behandlungsmodalität gegeben.“ [2]

In der Folge wurden durch die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Verantwortliche der Klinik eingeleitet. Dabei solle geprüft werden, ob ein Organisationsverschulden vorlag [3].

Bewertung

Generelle Tätigkeitsabgrenzung von Studierenden im Praktischen Jahr

Aus rechtlicher Sicht sind Studierende im Praktischen Jahr (nachfolgend: PJ-Studenten) „ganz normale“ nichtärztliche Mitarbeiter, deren Zusammenarbeit mit dem verantwortlichen Arzt den Regeln der vertikalen Delegation unterliegt: „Der Weisungsberechtigte trägt in aller Regel die Verantwortung für das Handeln der Angewiesenen“ [4]. „Dem leitenden Arzt obliegt die Fachaufsicht… Er hat bei der Auswahl und dem Einsatz von nachgeordnetem Personal auf dessen Qualifikation zu achten und es laufend … zu überwachen“ [5]. Aus hier nicht näher zu erörternden Gründen geht bezüglich der Verantwortung für nichtärztliche Mitarbeiter parallel mit der beim Chefarzt verorteten Überwachungspflicht eine allgemeine Organisationspflicht des Krankenhauses bzw. Krankenhausträgers einher: „Der Krankenhausträger muss durch organisatorisch klare Anweisungen dafür Sorge tragen, dass dem Patienten immer die erforderliche Sorgfalt zuteil wird.“ [6]

Das heißt: Chefarzt und „das Krankenhaus insgesamt“ sind gemeinsam dafür verantwortlich, was der betreffende PJ-Student macht. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, müssen die PJ-Studenten angemessen unterwiesen und überwacht werden; die ihnen zuzuordnenden Aufgaben müssen am jeweiligen spezifischen Können und Wissen des einzelnen Studenten ausgerichtet sein.

Diese Rechtsauffassung entspricht auch der Approbationsordnung für Ärzte, die vorsieht, dass PJ-Studenten „entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes … ärztliche Verrichtungen durchführen“ sollen [7].

In der vorliegenden Instanzrechtsprechung finden sich nur zwei Urteile mit annähernd einschlägiger Fragestellung – diese jedoch in ihrer Tendenz entgegengesetzt zueinander [8]:

Das OLG Stuttgart sah es im vorliegenden Fall nicht als fehlerhaft an, wenn ein PJ-Student unter Aufsicht eine Spinalanästhesie vornimmt [9].

Das OLG Köln sah einen Organisationsfehler darin, dass bei der Exstirpation einer Bartholini-Cyste „nur“ ein PJ-Student dem Operateur assistierte [10].

Für eine Wegweisung bezüglich der Einsatzmöglichkeiten von PJ-Studenten im Klinikalltag ist die vorliegende Rechtsprechung jedoch offenbar nicht hilfreich.

Die eigene Verantwortung des PJ-Studenten setzt dort ein, wo er erkennt (bzw. erkennen muss), dass ihm eine Aufgabe übertragen wurde, der er nicht gewachsen ist, bzw. dass er eine offenkundig falsche Anweisung erhalten hat: „Auch der nichtärztliche Mitarbeiter haftet …, wenn er die übertragene Aufgabe ausführt, obwohl er an der Ordnungsgemäßheit der Übertragung zweifelt und seine Bedenken nicht weiterträgt.“ [11]

Bezogen auf den vorliegenden Fall war also abzuwägen, ob und inwieweit (a) ggf. ein Organisationsdefizit des Krankenhauses vorlag, welches etwa einer Spritzenverwechslung Vorschub geleistet hat, inwieweit (b) der unmittelbar abteilungsverantwortliche Arzt (Chefarzt) seiner Unterweisungs- und Überwachungspflicht nachgekommen ist, und inwieweit (c) der Student (unter Berücksichtigung seiner medizinischen Vorkenntnisse und der erfolgten krankenhausinternen Einweisung) hätte erkennen müssen, dass er sich anschickte, die Injektion A falsch zu setzen.

Erste vs. Zweite Instanz

Das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld befriedigt nicht. Es ist zwar der Frage nachgegangen, ob eine Überwachung und Unterweisung des Studenten stattgefunden hat. Die Frage jedoch, ob die in der dortigen Abteilung zur Unterscheidung oraler und parenteraler Applikation getroffenen Maßnahmen ihrer Art nach ausreichend und geeignet waren, Verwechslungen oder andere Risiken zu vermeiden, wurde (noch) nicht (erkennbar) gestellt. Nicht ohne Grund verlässt man sich unter den aktuellen hochkomplexen Krankenhausbedingungen immer weniger auf die individuelle und punktuelle und damit störungsanfällige Aufmerksamkeit des Einzelnen. Statt dessen etabliert man wo immer möglich strukturelle und damit nicht vom Einzelnen abhängige Sicherungssysteme. So mag man im vorliegenden Fall durchaus überlegen, ob es ein gutes und risikobewusstes Verfahren ist, in Spritzen aufgezogene iv-Medikamente von in Spritzen aufgezogenen oralen Medikamenten (allein) dadurch zu unterscheiden, dass man die einen beschriftet und mit Kanüle versehen in eine bestimmte Ecke des Stationszimmers legt, die anderen unbeschriftet und ohne Kanüle (mit einem Stopper) auf ein Tablett. Eine solche Regularie mag unter bestimmten Bedingungen in einem definierten Setting als „strukturelle Sicherheitsmaßnahme“ völlig ausreichen, in einem anderen Umfeld nicht. Zu hinterfragen war die etwaige Risikogeneigtheit der dortigen organisatorischen Vorgaben auf jeden Fall.

Dies ist mit dem Urteil der zweiten Instanz geschehen. Die Überlegungen haben denn auch sowohl im Strafmaß als auch in einem Hinweis innerhalb des Urteils ihren Niederschlag gefunden.

Folgen für die Krankenhausorganisation

Wie bereits ausgeführt haftet für organisatorische Mängel des Krankenhauses vornehmlich dessen Träger bzw. für diesen die Krankenhausleitung. Und jedem Kundigen ist klar – es gibt mittlerweile (fast) keine Behandlungsfehler mehr, die nicht wenigstens einen organisatorischen Anteil haben. Krankenhausleitungen tun deshalb gut daran, durch die vorliegenden Strafverfahren einen Weckruf an sich selbst zu sehen, und sich erneut mit folgenden Themen zu befassen:

  • Erarbeitung klarer hausinterner Regeln für die Tätigkeiten, die an PJ-Studenten (nichtärztliche Mitarbeiter) delegierbar sind, einschließlich Regeln zur Einarbeitung, Einweisung und Überwachung (Inhalte, Umfang und Zuständigkeiten)
  • Kritisches Hinterfragen der etablierten Abläufe bei der Vorbereitung von Injektionen einschließlich der Maßnahmen zur Verhinderung von Verwechslungen (z. B. eingesetzte Spritzensysteme) Etablieren, Revitalisieren oder Pflegen des internen Risikomeldesystems.

Denn eines ist gewiss: Die Wahrscheinlichkeit, dass bei der Haftung in analogen Fällen (handele es sich um PJ-Studenten oder auch andere nichtärztliche Mitarbeiter), regelhaft das Krankenhaus als solches außen vor bleibe, ist gering.

Erklärung: Es besteht kein Interessenskonflikt.

Die Literaturliste erhalten Sie auf Anfrage via [email protected]

Hansis M. / Heilmann S. Fehlinjektion durch einen Studenten im Praktischen Jahr: Welche Konsequenzen ergeben sich für die Klinikorganisation? Passion Chirurgie. 2013 Dezember; 3(12): Artikel 06_02.

Autoren des Artikels

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Prof. Dr. med. Martin Hansis

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Saskia Heilmann

RechtsanwältinMoltkestr. 9076133Karlsruhe

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