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Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Akademisierung der Pflege und neue Assistenzberufe – das waren in diesem Jahr heiß diskutierte Themen auf dem Deutschen Chirurgenkongress und dem Hauptstadtkongress. Wir, die Chirurgen, befinden uns direkt im Mittelpunkt der Diskussion um eine sinnvolle Arbeitsteilung im Krankenhaus. Aber gerade weil wir im Zentrum stehen, gelingt uns vielleicht oftmals nicht der Blick über den Tellerrand: Aus München und Berlin zurück gekehrt, gewinnt man den Eindruck, dass die existierende Problematik zwar thematisiert wird, aber noch nicht wirklich in den Köpfen angekommen ist.

Nur wenige sehen die bevorstehende Katastrophe wirklich als reale Bedrohung. Dem „Weiter wie bisher“ oder „ein bisschen Veränderung“ wird dabei vor allem von denen das Wort geredet, bei denen die Katastrophe zuletzt ankommt: den Vertretern von Interessenverbänden und Standesorganisationen.

Es kommt einem so vor, als ob auf Kongressen eine virtuelle Welt entsteht, in der mancherorts mehr um politische Positionen gerungen wird denn um pragmatische Lösungen. Die alternde Bevölkerung, die Unterversorgung der ländlichen Bevölkerung, der Ärztemangel, insbesondere auf dem Lande und an kleineren Kliniken, Pflegemangel aller Orten und die davon laufenden Kosten für immer bessere Gesundheitsleistungen – das sind die Herausforderungen bei Weichenstellungen für die Zukunft, ohne die wir – bei knappen Ressourcen – vor dem Versorgungskollaps stehen könnten. Gefragt sind mehr denn je klare Positionen und sinnvolle Kompromisse.

Die neueste Ausgabe der „Passion Chirurgie“ beschäftigt sich mit dem Thema der chirurgischen Assistenzberufe und beleuchtet das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln. In den unterschiedlichen Beiträgen unternehmen die Autoren den Versuch, Antworten auf vielerlei Fragen zu finden: Sind neue Berufsgruppen überhaupt vonnöten? Sind die bislang geschaffenen Berufsbilder vom Grunde her sinnvoll? Wollen wir nicht-ärztliches Hilfspersonal überhaupt an unserer Seite haben? Wenn ja, was wollen wir ihnen an Kompetenzen übertragen? Was sollen gut ausgebildete nicht-ärztliche Chirurgieassistenten können? Wollen wir ihnen ärztliche Aufgaben „abgeben“? Wird die Versorgungsqualität durch den Einsatz chirurgischen Assistenzpersonals schlechter oder besser? Behindern sie gar die Weiterbildung? Dürfen Chirurgieassistenten dann später auch das, was sie im Idealfall können sollen? Wie darf das Gehaltsgefüge aussehen und wie können sie in den Gesamtprozess eines Klinikums integriert werden? Oder würden die richtigen Reformen des Gesundheitssystems diese Berufe gar überflüssig machen?

Zur Zeit existieren noch mehr Fragen als Antworten, wobei eben diese Fragen lediglich einen kleinen Ausschnitt dessen widerspiegeln, was in unzähligen Runden diskutiert wird und die Gemüter teilweise heftig erregt. Die entscheidende Frage ist, ob wir nicht schließlich zu spät kommen, um den Versorgungsengpässen zu begegnen. Denn die deutschen Chirurgen sind weiterhin uneins. Während die Gefäßchirurgen bereits „zertifizierte Arzt-Assistenten“ ausbilden und Unfallchirurgen bzw. Orthopäden „akademisch geschulte Assistenten“ etablieren, sind andere Fachgesellschaften (noch) zögerlich.

Wir Chirurginnen und Chirurgen sind aufgerufen, eine harte, aber offene und ehrliche Diskussion zu führen, ob nicht-ärztliche Chirurgieassistenten notwendig sind, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen. Dabei sind tragfähige und pragmatische Lösungen gefragt.

Die Gegner mögen sagen, wie dem Mangel an chirurgischem Nachwuchs begegnet werden kann und wie die Ärzte – wenn sie denn rekrutiert werden können – bezahlt werden sollen.

Die Befürworter sollten erklären, welche Aus- bzw. Weiterbildungsinhalte denn notwendig wären, um Chirurgieassistenten sinnvoll und sicher einzusetzen. Getreu dem Grundsatz, dass die Struktur den Inhalten folgt, müssten die politischen Weichen in Richtung einer strukturierten und staatlich anerkannten Aus- und Weiterbildung mit einheitlichen Curricula gestellt werden.

Die derzeitige Rechtslage muss dabei auf den Prüfstand. Auch hier gilt der Grundsatz: Man darf (nur), was man kann! Und: Weder braucht es einen „Surgeon light“ noch einen Chirurgieassistenten, der ohne ein entsprechendes Wissen und nötige Kompetenzen das fünfte Rad am Wagen im klinischen Alltag ist.

Die Beiträge dieses Heftes sollen die Grundlage für die dringend notwendige Diskussion liefern: Es werden die aktuelle Situation und sowohl die demografischen als auch die politischen Grundlagen skizziert. Umfrageergebnisse zeichnen ein Stimmungsbild unter den Chirurgen und den bereits tätigen Chirurgieassistenten. Über Erfahrungen mit nicht-ärztlichem Assistenzpersonal in der DGG und in der DGOU wird ebenso berichtet wie über den Stand des rechtlichen Status quo. Last, but not least, geben der Generalsekretär der DGCh und der Präsident des BDC eine Einschätzung zum Thema.

Wir sind noch nicht zu spät – nutzen wir Chirurgen die Chance für eine Richtungsentscheidung! In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre und eine angeregte Diskussion.

Herzlich,

Ihr
Martin H. Kirschner

Kirschner M. „Wer zu spät kommt…“. Passion Chirurgie. 2013 August; 3(08): Artikel 01.

Autor des Artikels

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Prof. Dr. med. Martin Kirschner

Präsidium, OE 1110Medizinische Hochschule HannoverCarl-Neuberg-Str. 130625Hannover

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