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Unter dem Titel: „Privatkliniken läuft das Personal weg“ hat eine regionale Tageszeitung kürzlich mitgeteilt, dass Kliniken ­eines privaten Klinikbetreibers wegen Personalmangels keine Notfallpatienten aufnehmen konnten. Auch chirurgische Kliniken ­waren betroffen. Dieser Klinikbetreiber sucht händeringend nach Personal. Ein Arzt wirft dem Betreiber sogar Gewinnmaximierung auf Kosten der Mitarbeiter vor [1]. Dies mag ein Einzelfall sein. Die originären Ursachen dafür sind sicherlich vielfältig und für einen Außenstehenden nur schwer beurteilbar. Es zeigt aber auch, dass wir in Zukunft vermehrte Anstrengungen in eine qualifizierte Nachwuchsarbeit investieren müssen. Viele Kliniken scheinen dagegen dieses Problem immer noch zu unterschätzen. In der letzten Assistentenumfrage des BDC gab die Mehrzahl der mehr als 1.300 befragten Assistenzärzte an, dass sich der Klinikbetreiber nicht für ihre chirurgische Weiterbildung und deren Fortgang interessiere. Sie gaben sogar an, dass sich aufgrund des wirtschaftlichen Drucks die Bedingungen verschlechtert ­hätten [2].

Der BDC hat diese Entwicklungen frühzeitig erkannt und diesbezüglich vielfache Anstrengungen unternommen. In einer einzigartigen und sehr erfolgreichen Kampagne „Nur Mut! Kein Durchnittsjob: ChiurgIn“ oder bei den dazugehörigen Workshops „Chirurgie zum Mitmachen“ versucht der BDC die Attraktivität der Chirurgie wieder ins Bewusstsein der Medizinstudenten zu heben. Dies ist aus Sicht des BDC gelungen. Der BDC ist sogar noch einen Schritt weitergegangen und engagiert sich als Gründungsmitglied in einem fachübergreifenden interdisziplinären „Bündnis Junger Ärzte“. Nicht nur die Chirurgen, sondern fast alle medizinischen Fachbereiche in Deutschland klagen über Nach­wuchsmangel. Gerade solche fachübergreifenden interdisziplinären Koalitionen werden von den Entscheidungsträgern in Politik und Gesundheitswesen eher gehört als Einzelgruppen.

In den nächsten Jahren werden folgende Bereiche an Bedeutung für die Rekrutierung des chirurgischen Nachwuchses gewinnen:

  1. Moderne Personalpolitik in Zeiten des Fachkräftemangels
  2. Qualität der chirurgischen Weiterbildung bei zunehmender operativer Spezialisierung in Organzentren der Chirurgie
  3. Auswirkungen einer zunehmenden Digitalisierung und Innovationen in der Medizin auf den Arztberuf

Moderne Personalpolitik in Zeiten des Fachkräftemangels

Wir haben gerade die Generation Y verstanden, da drängt die Generation Z ins Berufsleben. Viele dachten die Generation Y ist schwierig. Man darf nicht enttäuscht sein, wenn die Generation Z noch einen „Zacken schärfer“ werden wird. Diese Generation Z möchte nach Christan Scholz: feste Arbeitszeiten/orte, eigene Schreibtische, Festvergütung, kleinteilig geplante Strukturen, „Everyone gets a trophy“ und Work-Life-Separation. Sie ist hoch sensibel, enorm multitaskingfähig und nimmt alles blitzschnell auf. Ist aber auch nicht mehr so konzentriert, lässt sich schnell ablenken und hat nur ein kurzes Durchhaltevermögen. Wenn jungen Menschen dieser Generation etwas nicht passt, sind sie weg. Für die Zukunft wird es daher ganz entscheidend sein, wie attraktiv der Arbeitgeber Krankenhaus für den medizinischen Nachwuchs ist und sein wird. Die Verantwortlichen in den Führungsetagen der Klinikbetreiber müssen lernen, dass der Fokus auf CM/CMI, Fallzahlen und Auslastung von Großgeräten nur die eine Seite der Medaille ist. Der wirtschaftliche Erfolg wird von den Mitarbeitern getragen. Diese sind Leistungsträger und nicht Kostenfaktoren. Das ist die andere Seite der Medaille und wird immer wichtiger werden. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine moderne Personalpolitik an den Kliniken, welche sich an den Bedürfnissen der Mitarbeiter auf wertschätzender Grundlage orientiert, essenziell. Nicht nur Personal verwalten, sondern Personal entwickeln muss die Devise sein. Die Besten sind nicht immer die Passenden. Dies fordert natürlich auch von den leitenden Ärzten eine doppelte Expertise; die rein fachliche wird in Zukunft nicht mehr ausreichen. Hier bedarf es auch einer zunehmenden sozialen Kompetenz mit Führungsqualitäten außerhalb des medizinischen Faches. Dies zu entwickeln, zu fördern und zu unterstützen ist auch Aufgabe der Klinikbetreiber. Wer sich hier frühzeitig engagiert und Konzepte entwickelt, wird keinen Nachwuchsmangel haben. Gelungene Personalrekrutierung und -entwicklung wird zunehmend über den Erfolg einer Klinik entscheiden.

Noch ein weiterer Faktor wird entscheidend sein: Die kollegiale Zusammenarbeit aller Profession, die bei der Diagnostik und Behandlung der Patienten beteiligt sind. Eine noch größere Personallücke werden demnächst die Pflege und medizinisch-technischen Dienste erleben. Vielfach ist diese schon immanent und kann sogar dazu führen, dass Abteilungen nicht vollumfänglich arbeitsfähig sind. Das zurzeit tätige Personal reibt sich auf und wird verschlissen. Dies bleibt dem Nachwuchs nicht verborgen. Die Attraktivität des Arbeitsplatzes Krankenhaus sinkt [3]. Moderne Personalgewinnungs- und Personalbindungsmodelle wie Employer Branding, Ausbildungsmarketing und Karrierewebsites, Content Marketing, Mitarbeiterbefragung, Anreize schaffen durch gezielte Motivation und das familienfreundliche Krankenhaus müssen Einzug in eine moderne Personalpolitik der Krankenhäuser finden. Dies ist aber nicht nur Aufgabe der Personalabteilungen. Personalpolitik muss auch Chefsache an chirurgischen Kliniken sein.

Qualität der chirurgischen Weiterbildung bei zunehmender operativer Spezialisierung in Organzentren der Chirurgie

Es passt hier gut ins Bild, wenn in der Gesundheitspolitik und in den vielfachen Äußerungen der Krankenkassen in letzter Zeit immer deutlicher wird, dass diese nach einer Qualitätsoffensive medizinischer Leistungen rufen. Die Messinstrumente dafür sind in der Diskussion und ein Konsens zwischen den Beteiligten scheint möglich wenn auch schwierig zu sein. Was ist gute oder schlechte Qualität?

Wann ist eine Komplikation Folgeschlechter Behandlungsqualität?

Der Ruf nach Zentrumsbildung wird immer lauter. Bestimmte medizinische Leistungen sollen nicht mehr ubiquitär verfügbar sein, sondern nur noch an bestimmte Zentren durch hoch spezialisierte Ärzte angeboten werden können. Man möchte medizinische Leistungen zentralisieren und kleinere Einheiten auf eine Basisversorgung reduzieren oder gleich vom Markt nehmen.

Die Grundlagen einer guten Behandlungs- und Diagnostikqualität sind immer noch eine gute Aus- und Weiterbildung des medizinischen Nachwuchses. Dies sollte bei allen Qualitätsdiskussionen nicht vergessen werden. Eine gute Aus-, Weiter- und Fortbildung kostet Zeit, Geld und Geduld. Sie wird aber auch durch die tägliche chirurgische Arbeit in der Mutterklinik geprägt. In den vielen Umfragen und Befragungen ist gerade die strukturierte Weiterbildung etwas, was der Nachwuchs vehement einfordert. Die ist mitentscheidend, wenn es um die Auswahl der Fachrichtung und des Arbeitgebers geht. Hier stehen unweigerlich auch die chirurgischen Lehrer mit ihren Teams in der Pflicht.

Die Entwicklung unseres medizinischen Nachwuchses hin zu den zukünftigen Leistungsträgern der medizinischen Versorgungsqualität wird zu wenig beachtet und findet kaum Erwähnung in den Qualitätsdiskussionen. In den vielfachen Zertifizierungsmodellen zu spezialisierten Organ- und Therapiezentren spielen diese Gesichtspunkte nur eine untergeordnete Rolle. Gibt es in diesen Zertifizierungsmodellen nur noch wenige geeignete Operateure oder dürfen nur noch spezielle Operateure gewisse Eingriffe vornehmen, dann bricht das gesamte System zusammen, weil der Nachwuchs fehlt. Der Nachwuchs drängt in die Spezialisierung, welche durch die Weiterbildungsordnung praktisch vorgegeben ist. Das Festhalten am Allgemeinchirurgen als Allrounder alter Prägung sollte der Vergangenheit angehören. Dieser Facharzt ist für den Nachwuchs nicht attraktiv und wird es auch in Zukunft nicht mehr werden. Nur noch wenige Medizinabsolventen streben eine Facharztweiterbildung zum Allgemeinchirurgen an, weil sie ihre beruflichen Chancen eher in der Spezialisierung sehen. Die Qualitätsdiskussion fördert und fordert eine spezialisierte Chirurgie von Spezialisten! Da bleibt für den Allgemeinchirurgen alter Prägung nur noch wenig übrig. Er verliert seinen Platz in der Versorgungsrealität. Dies sollte man akzeptieren und die ohnehin schon begrenzten Ressourcen nicht im Allgemeinchirurgen verbrennen!

Die Krankenkassen mahnen immer zur Wirtschaftlichkeit der medizinischen Behandlung, vergessen aber mitunter, dass viele Kliniken auch die Aus- und Weiterbildung bzw. Fortbildung finanzieren müssen. Es ist an der Zeit, dass wir auch eine Diskussion um die Finanzierung der ärztlichen Fort- und Weiterbildung führen müssen. In diesem Zusammenhang muss auch deren Qualität richtig und seriös evaluiert werden.

Auswirkungen einer zunehmenden Digitalisierung und Innovation in der Medizin auf den Arztberuf

Die größte Herausforderung wird aber die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft sein. Kaum ein Arzt ist oder wird darauf wirklich vorbereitet. Der Einzug modernster Digitalisierungstechnik (z. B. der „Virtual Reality“, des autonomen Fahrens und der Robotertechnik) wird auch die Tätigkeiten des Arztberufes verstärkt beeinflussen. Immer leistungsstärkere und anwenderfreundlichere Software gepaart mit hervorragender Hardware vermag den Menschen vielfach zu unterstützen oder sogar zu ersetzten. Die Leistungsfähigkeit dieser komplexen Systeme übersteigt um ein Vielfaches die des Menschen. Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung, aber wir müssen aufpassen, dass uns diese nicht überholt und uns in Teilen überflüssig macht. Die Schnelligkeit und die Kürze der Produktentwicklungszeiten dieser Systeme von nur wenigen Jahren sind enorm und in ihren Auswirkungen kaum zu prognostizieren.

Eine Weiter- und Fortbildung unserer Ärzte in Digitalisierungstechnik wird an Bedeutung gewinnen. Wir müssen die positiven Synergieeffekte dieser Technik für unsere Tätigkeiten ausloten, um Entwicklungen zu begleiten. Fragen zu stellen, welche heute noch als absurd bezeichnet werden, sollte möglich sein. Eine dieser Fragen wäre: Könnte es in Zukunft auch einen „autonomen Arzt“, ähnlich des autonomen Fahrens, geben? An solchen möglichen Algorithmen wird geforscht. Diese werden entwickelt werden und es wird Unternehmen geben, die diese in den Markt drängen. Es wird auch für den Nachwuchs entscheidend sein, ob wir Teil dieser Entwicklung sind oder diese nur begleiten dürfen. Am Ende des Tages steht der Arzt im Dienste seiner Patientinnen und Patienten! Ärzte tragen die Verantwortung für Diagnostik, Therapie und Begleitung. Dies kann nicht an eine Maschine oder Software delegiert werden. Dennoch glaube ich, dass in der Digitalisierung ein enormes Potenzial für uns Ärzte, den Nachwuchs und unsere Patienten steckt. Wir werden ein modernes chirurgisches Innovationsmanagement benötigen. Nicht alles was möglich ist, ist auch sinnvoll. Wir müssen dieses Feld durch eigene Entwicklungen bestimmen und managen! Die Medizinproduktehersteller sollten dabei Partner und nicht Treiber sein.

Chirurgie 4.0 und ihre Herausforderungen für die Nachwuchsarbeit sind vielfältig und werden den Protagonisten alles abverlangen. Neues Denken auch abseits fest gefahrener Wege wird dafür notwendig werden. Es wird kein einfacher, aber durchaus spannender Weg sein. Die Arbeitsorganisation und Arbeitsstrukturen haben sich in den letzten Jahrzehnten an den deutschen Krankenhäusern kaum verändert. Im Gegenzug haben sich aber die Rahmenbedingungen massiv verändert. Glauben wir wirklich noch, dass die kleinteilige Aufteilung deutscher Krankenhäuser in Behandlungs- und Therapieeinheiten sinnvoll ist, obwohl wir doch gemeinsam eine Krankheit eines Patienten behandeln? Wir müssen bereit sein, das System Krankenhaus neu zu denken und uns vielleicht von gewohnten und lieb gewordenen Arbeitsstrukturen und -prozessen verabschieden. Dafür braucht es Mut und Kreativität. Der Nachwuchs und letztlich unsere Patienten werden uns dies danken.

Literatur

[1] Magdeburger Volksstimme v. 23.05.2017, Seite 1.
[2] Krüger M. u. Seifert J.: Chirurgische Weiterbildung in Deutschland. Passion Chirurgie. 2016 März, 6(03): Artikel 02_01.
[3] Borgelt S., Metz A., Langer D.: Kulturwandel im Krankenhaus. Passion Chirurgie. 2016 März, 6(03): Artikel 02_03.

Krüger M. Chirurgie 4.0 – Herausforderungen an die Nachwuchsarbeit. Passion Chirurgie. 2017 Juli, 7(07): Artikel 04_04.

 

Autor des Artikels

Profilbild von Krüger

Dr. med. Matthias Krüger

Leiter des Ressorts Zukunft, Ökonomie und Digitalisierung in der ChirurgieGesundheitsökonom, klinischer Risikomanager(DIOcert)ZB Proktologie/NotfallmedizinUnseburger Straße 739122Magdeburg kontaktieren

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