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Das Landgericht Köln hat mit Urteil vom 07.05.2012 einen Arzt vom Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen, der bei einem seinerzeit vierjährigen Kind ohne medizinische Indikation eine Beschneidung vorgenommen hat.

Das Ergebnis dieser Verhandlung und somit das Urteil des Landgerichts Köln ist zunächst einmal für den Arzt daher sehr positiv. Er wurde nicht verurteilt, obgleich das Landgericht Köln in den Urteilsgründen davon ausgeht, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Körperverletzung gehandelt hat. Das Landgericht Köln nimmt lediglich zugunsten des Arztes an, dass er sich in einem sogenannten unvermeidbaren Verbotsirrtum befand, als er die Handlung vorgenommen hat. Damit handelt er also ohne Schuld (vgl. § 17 Satz 1 StGB). [1]

Das Urteil als solches vermittelt zunächst daher keinen negativen Eindruck, da der Angeklagte Arzt ja freigesprochen wurde.

Problematisch an dieser Entscheidung sind allerdings die Urteilsgründe, die an der Tatbestandsmäßigkeit (im Sinne einer Körperverletzung) der rituellen Beschneidung eines Minderjährigen keinen Zweifel lassen.

Die Urteilsgründe des Landgerichts Köln

Das Landgericht Köln geht davon aus, dass der Tatbestand der Körperverletzung erfüllt ist. Nicht erfüllt hingegen ist nach Auffassung des Landgerichts Köln der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung, da das Skalpell zwar grundsätzlich ein gefährliches Werkzeug ist, aber hier, seiner Bestimmung gemäß, durch einen Arzt verwendet wurde. Dies lässt eine Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung daher nicht zu. Aber auch der Vorwurf der Körperverletzung als solches ist bereits erheblich, da diese mit Geldstrafe oder mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren sanktioniert ist.

Das Landgericht Köln betont zudem deutlich, dass die aufgrund elterlicher Einwilligung aus religiösen Gründen von einem Arzt ordnungsgemäß durchgeführte Beschneidung eines nicht einwilligungsfähigen Knaben bereits aufgrund der sogenannten Sozialadäquanz nicht von der Strafbarkeit ausgeschlossen ist. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass zwar grundsätzlich eine Strafbarkeit anzunehmen wäre, da ein gegen das Kindeswohl verstoßendes und nicht zu entschuldigendes Verhalten vorliegt.

Dies sei aber, so der Gedanke der Sozialadäquanz, sozial unauffällig, allgemein gebilligt und geschichtlich üblich und daher dem formellen Strafbarkeitsverdikt entzogen. Dieser Möglichkeit, die Strafbarkeit entfallen zu lassen, erteilt das Landgericht Köln aber eine deutliche Absage.

Das Verhalten des Angeklagten Arztes war, und dies ist wohl die Kernaussage der Entscheidung, auch nicht durch die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt. Eine Einwilligung des seinerzeit vierjährigen Kindes lag nicht vor und konnte mangels hinreichender Verstandesreife auch nicht in Betracht gezogen werden. Die Einwilligung der Eltern lag zwar vor, vermochte indes die tatbestandsmäßige Körperverletzung nicht zu rechtfertigen.

Hierzu führt das Landgericht Köln wörtlich aus:

„Gemäß § 1627 Satz 1 BGB sind vom Sorgerecht nur Erziehungsmaßnahmen gedeckt, die dem Wohl des Kindes dienen. Nach wohl herrschender Auffassung in der Literatur entspricht die Beschneidung des nicht einwilligungsfähigen Knaben weder unter dem Blickwinkel der Vermeidung einer Ausgrenzung innerhalb des jeweiligen religiös-gesellschaftlichen Umfeldes, noch unter dem des elterlichen Erziehungsrechtes dem Wohl des Kindes. Die Grundrechte der Eltern aus Artikel 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG werden ihrerseits durch das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gemäß Artikel 2 Abs. 2 und 2 Satz 1 GG begrenzt. Das Ergebnis folgt möglicherweise bereits aus Artikel 140 GG i. V. m. Artikel 136 Abs. 1 WRV, wonach die staatsbürgerlichen Rechte durch die Ausübung der Religionsfreiheit nicht beschränkt werden (so Herzberg, JZ 2009, 332, 337; derselbe MedR 2012, 169, 173).

Jedenfalls zieht Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG selbst den Grundrechten der Eltern eine verfassungsimmanente Grenze. Bei der Abstimmung der betroffenen Grundrechte ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die in der Beschneidung zur religiösen Erziehung liegende Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist, wenn sie denn erforderlich sein sollte, jedenfalls unangemessen. Das folgt aus der Wertung des § 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB. Zudem wird der Körper des Kindes durch die Beschneidung dauerhaft und irreparabel verändert. Diese Veränderung läuft dem Interesse des Kindes, später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können, zuwider. Umgekehrt wird das Erziehungsrecht der Eltern nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten sind, abzuwarten, ob sich der Knabe später, wenn er mündig ist, selbst für die Beschneidung als sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zum Islam entscheidet.“

Das Landgericht Köln nimmt also eine Abwägung der wechselseitig bestehenden Grundrechte vor und kommt deshalb zu dem Entschluss, dass die Beschneidung als solches nicht dem Kindeswohl dient und somit auch die Einwilligung der Eltern hierin nicht wirksam war. Der Arzt konnte sich nur deshalb einer Strafbarkeit entziehen, weil das Landgericht Köln zu seinen Gunsten schuldloses Verhalten angenommen hat, weil er sich in einem Verbotsirrtum befunden hat.

Diese Möglichkeit wird zukünftig aber insbesondere im Hinblick auf die öffentliche Diskussion der Strafbarkeit der rituellen Beschneidung wohl nicht mehr gegeben sein.

Kommentar

Das Landgericht Köln hat als erstes Gericht hier die Strafbarkeit der Zirkumzision aufgrund fehlender Einwilligung und damit Rechtfertigung angenommen.

Es gab aber in der Vergangenheit bereits Urteile, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben. So hat beispielsweise das AG Düsseldorf bereits im Jahr 2004 einen Beschneider wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Dies allerdings deshalb, weil der 77-jährige ein verschmutztes Besteck verwendet hat. An der Frage, ob die Beschneidung als solches gerechtfertigt war, wurde kein Anstoß genommen.[2]

In der zivilrechtlichen Judikatur wurde ein Schadensersatzprozess eines neunjährigen Jungen gegen seine Beschneidung und die darin sich anschließenden zwei Klinikaufenthalte mit Hauttransplantationen bereits vor längerem beschrieben. Das Landgericht Frankenthal hat zu diesem Zeitpunkt die Einwilligung des neunjährigen Kindes für unerheblich erklärt. Auch hat es die Einwilligung der Eltern in den medizinisch nicht indizierten, von einem Nichtmediziner unter unsterilen Bedingungen durchgeführten körperlichen Eingriff als ebenfalls unwirksam erachtet. Dies deshalb, weil die Einwilligung in eine solche Art des Eingriffes nach Auffassung der damaligen Kammer gegen das Kindeswohl verstößt und damit nicht mehr vom elterlichen Sorgerecht gedeckt war. [3] Auszugehen war nach dem Landgericht Frankenthal damals davon, dass die Eltern nicht die Befugnis hätten, unvernünftige Entscheidungen zum Nachteil ihres Kindes zu treffen, weshalb ihre Entscheidungsfreiheit in aller Regel auf medizinisch indizierte Eingriffe beschränkt sei. Das Landgericht Frankenthal ging allerdings davon aus, dass die Eltern ohne Probleme bei einem Mediziner, der den medizinischen Mindeststandard einhalte, die Beschneidung hätten vornehmen lassen können.

Dies zeigt, dass die rituelle Beschneidung bei Minderjährigen bereits in der Vergangenheit Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen war, wenngleich die Urteilsgründe nicht so drastisch gegen die Beschneidung gesprochen haben.

Gleichwohl wird immer deutlich, dass hier letztlich zwei Grundrechte gegeneinander prallen und die Frage gestellt werden muss, welche Grundrechte hier Vorrang haben. Diese Frage ist sicherlich nicht einfach zu beansixrten, da sowohl im Islam als auch im Judentum die Beschneidung einen religiösen Grundpfeiler darstellt. [4]

Zudem ist festzustellen, dass die Beschneidung von zentraler Bedeutung für das kulturell-religiöse Selbstverständnis des Betroffenen ist. [5]

Bei der Abwägung der Grundrecht untereinander muss man aber auch berücksichtigen, dass dem Kind grundsätzlich zuzubilligen ist, dass es ein Recht auf körperliche Unversehrtheit hat, wie es Ausfluss aus Artikel 2 Abs. 2 GG und Artikel 2 Abs. 1 GG ist. Zudem ist das Recht auf Wahrung der Persönlichkeit hier ebenfalls zu berücksichtigen, wie es in Artikel 1 Abs. 1 GG festgeschrieben ist. Demgegenüber stehen die Rechte der Eltern auf Erziehung gemäß §§ 1626, 1629 BGB als Ausfluss des Artikel 6 Abs. 2 GG, dem Recht der Eltern auf religiöse Kindererziehung gemäß Artikel 4 Abs. 1 i. V. m. Artikel 6 Abs. 21 GG und natürlich deren Religions- bzw. Religionsausübungsfreiheit aus Artikel 41, 2 GG. [6]

Es stellt sich also die Frage, ob die Religionsfreiheit und die Erziehungsrechte die Beschneidung rechtfertigen. Genießen also die Religionsfreiheit der Eltern und das elterliche Erziehungsrecht den Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit eines Menschen? [7]

Diese Frage muss nach Auffassung der Verfasser vom Bundesverfassungsgericht beansixrtet werden. Insofern erscheint es auch nicht notwendig, hier eine eigenständige Gesetzgebung anzustrengen und auch anzustoßen. Denn der rechtliche Rahmen, die rituelle Beschneidung bei Minderjährigen juristisch einzuordnen, besteht längst. Allein die Tatsache, dass ein Richter im Rahmen seiner ihm gesetzlich und rechtsstaatlich garantierten Unabhängigkeit ein Urteil nach bestem Wissen und Gewissen gefällt hat, kann nicht dazu führen, dass man schlicht ein neues Gesetz erlässt. Vielmehr müsste man hier mit der gebotenen Gelassenheit, denn letztlich handelt es sich hierbei um die Rechtsprechung des Landgerichtes Köln und somit nicht um eine höchst richterliche Entscheidung, zuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht, das dazu berufen ist, über die Grundrechte eines jeden zu wachen, über diesen Sachverhalt entscheidet.

Bis zu diesem Zeitpunkt bietet die Entscheidung des Landgerichtes Köln aber nunmehr Rechtsicherheit dahingehend, dass von einer aus rein rituellen Gründen durchgeführten Beschneidung Abstand zu nehmen ist.

Bei der rein juristischen Betrachtung dieses Falles muss man sich auch von rein pragmatischen Lösungen, dass beispielsweise eine Beschneidung unter ärztlicher Aufsicht einer Beschneidung durch Nichtmediziner vorzuziehen ist, lösen. Denn es geht im vorliegenden Fall nicht darum, Religionsgemeinschaften zu diskriminieren und Praktikabilitätserwägungen anzustellen, sondern es geht allein darum zu überprüfen, inwieweit die rituelle Zirkumzision bei einwilligungsunfähigen Knaben gegen geltendes Recht verstößt.

Zudem ist damit auch eine Grundfrage des ärztlichen Tuns, nämlich die ärztliche Ethik betroffen. [8]

In Übereinstimmung mit der Bundesärztekammer ist also davor zu warnen, derzeit eine rituelle Beschneidung vorzunehmen. [9]

Eine schnelle Lösung im Sinne einer eigenständigen Gesetzgebung scheint ohnehin nicht in Sicht zu sein, wie Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger anlässlich eines Interviews bei der Ärztezeitung vom 16.07.2012 zu erkennen gegeben hat.

Sie hat auch klar nochmals darauf abgehoben, dass es sich letztlich tatbestandsmäßig bei der Beschneidung um eine Körperverletzung handelt. Diese wurde aber, und dies sollte man nochmals betonen, bis heute strafrechtlich in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht sanktioniert.

Literatur:

[1] LG Köln, Urteil vom 07.05.2012, Az.: 151 Ns 169/11

[2] AG Düsseldorf, Urteil vom 17.11.2004, Az.: 411 Ds 60 JS 3518/00

[3] LG Frankenthal, Urteil vom 14.09.2004, Az.: 4 O 11/02

[4] so auch Jerouschek, NStZ 2008, 313 bis 319

[5] so auch Schwarz, JZ 2008, 1125 bis 1129

[6] Jerouschek, NStZ 2008, a.a.O.

[7] Jerouschek, a.a.O.

[8] so auch Stehr, Presseerklärung der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) zu dem Urteil des Landgerichtes Köln vom 07.05.2012 vom 04.07.2012

[9] Montgomerey, Spiegel online vom 14.07.2012

Heberer J. / Hüttl P. Beschneidung bei Minderjährigen. Passion Chirurgie. 2012 September; 2(09): Artikel 06_02.

Autoren des Artikels

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Dr. jur. Jörg Heberer

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