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CHIRURGIE
Ambulantes Operieren in der Handchirurgie aus der Sicht eines niedergelassenen Chirurgen

Das ambulante Operieren gehört schon seit Jahrzehnten zur Routine in der Niederlassung. Auch Krankenhäuser bieten schon lange ambulante Eingriffe an. Aufgrund der aktuellen Diskussion über die Ausweitung des Katalogs nach § 115b des SGB V dürfte es in naher Zukunft einen massiven Schub für das ambulante Operieren geben.

Speziell in der Handchirurgie, aber nicht nur dort, ist die Ambulantisierung nicht mehr aufzuhalten. Dieses ist auch politisch gewollt, was sich auch im IGES-Gutachten und in den dreiseitigen Verhandlungen zur Stärkung des ambulanten Operierens zeigt.

In der Handchirurgie sind unter bestimmten Voraussetzungen ca. 80 Prozent der Eingriffe ambulant durchführbar (vergl. Konsensus Papier der DGH zum Thema ambulantes Operieren, veröffentlicht in der HAMIPLA 2020, 52, Seite 244-248). Durch den politisch erhöhten Druck werden in Zukunft auch die Krankenhäuser vermehrt ambulante Eingriffe ggfs. zu einem geringeren Erlös durchführen müssen.

In der Vergangenheit gab es verschiedenste Ansätze, das ambulante Operieren zu fördern.

Als Erstes zu nennen ist die lange geforderte und nach intensiven berufspolitischen Kämpfen erreichte extrabudgetäre Vergütung, ohne die das ambulante Operieren nicht denkbar gewesen wäre. In Hessen z. B. wurden schon frühzeitig viele Eingriffe zu einem festen Punktwert von 5,11 Ct vergütet, während zur gleichen Zeit bundesweit nur 3,5 Ct pro Punkt erlöst wurden!

Es gab aber auch systematische Behinderungen wie die Punktwert-Abstaffelung in Niedersachsen auf 2,1 Ct, was nach massiven Protesten der ambulanten Operateure (Aktion ruhendes Skalpell) zum Glück aufgehoben wurde.

Auch die Förderung des Ambulanten Operierens durch sogenannte Hybrid-DRGs wird als Pilotprojekt in Thüringen erprobt.

All diese Beispiele zeigen, dass die Durchführbarkeit des ambulanten Operierens nicht zuletzt auch von der Vergütung abhängt. Bevor wir dieses Thema aufgreifen, sind noch einige Gedanken zur Prozessqualität und zu den Unterschieden zwischen Krankenhäusern und Praxen nötig.

Über allem steht die Sicherheit der Patienten. Es kann nicht sein, dass eine evtl. Kostenersparnis für die Kassen zulasten der Qualität geht. Das heißt, dass Praxen/OP-Zentren und Krankenhäuser die gleiche Qualität abliefern müssen.

Die Praxen haben den Nachteil, nicht dual finanziert zu werden, wie es bei den Krankenhäusern sein sollte, teilweise aber auch nicht komplett umgesetzt ist. Auch können Lohnsteigerungen in der Niederlassung nicht wie im Krankenhaus an die Kostenträger weitergegeben werden. Im EBM ist ein Teil für die sogenannte technische Leistung vorgesehen.

Der Nachteil des Krankenhauses ist natürlich der Ausbildungsbetrieb und die oft vorhandenen verkrusteten Strukturen. In der Praxis arbeiten die Operateure meist mit einem festen Team. Natürlich müssen dazu die Assistenzen ausgebildet werden, auch die Praxis ist ein Ausbildungsbetrieb. Der/die Operateur:in ist in seinem/ihrem Gebiet in der Regel sehr erfahren. In der Handchirurgie haben nicht selten frühere leitende Oberärztinnen und -ärzte direkten Zugriff auf die Abläufe und die Prozessoptimierung. Im Krankenhaus sind unter Aufsicht des/der obligatorischen Facharztes oder -ärztin oft Weiterbildungsassistent:innen tätig. Die OP-Schwestern oder -Pfleger kommen nicht selten aus einem Pool und sind daher mit den Eingriffen nicht so vertraut. Das gleiche gilt für die Anästhesist:in mit den Anästhesieschwestern und -pflegern. Die Wege sind länger, die Prozesse oft nicht optimiert. Häufig werden in den Krankenhäusern die Abläufe von außen durch fachfremde nicht in die Arbeit involvierte „Prozessoptimierer:innen“ vorgegeben.

Der Ausbildungsbetrieb verhindert durch Reibungsverluste natürlich ein ökonomischeres Arbeiten. Da sich auch immer mehr die Weiterbildung in den ambulanten Betrieb verschieben wird und muss, wird dies bei zukünftigen Honorarverhandlungen mit beachtet werden müssen. Anders wird das bestehende Weiterbildungsniveau nicht mehr zu halten sein.

Bei der so wichtigen Erlössituation ist zu beachten, dass bei der ursprünglichen Bewertung ein Punktwert von 5,11 Ct zugrunde gelegt wurde (vor 20 Jahren). Der Anteil der technischen Leistung (u. a. auch Rücklagen für Neuinvestitionen, Abschreibungen etc.) beträgt ca. 70 Prozent. Die Kosten sind aber immens gestiegen, bereits vor der Erhöhung der Energiekosten um ca. 30 Prozent. Bisher auch nicht berücksichtigt sind die erhöhten Kosten im Hygienebereich.

Im IGES-Gutachten wurden bei fünf Fallbeispielen häufiger Eingriffe unter DRG-Bedingungen bis 16-fach höhere Erlöse erzielt als dies unter EBM-Bedingungen möglich ist. Dies unterstreicht die dringende Notwendigkeit einer Steigerung der Erlöse des ambulanten Operierens, zumal auch die Krankenhäuser nach EBM abrechnen müssen und somit auch ihre Erlöslage defizitär ist.

Im ambulanten Bereich muss also sehr knapp kalkuliert werden. Die Kosten für Abdeckmaterialien betragen pro OP 20 bis 40 €, die Aufbereitungs- und Hygienekosten je nach OP 60 bis 80 €, Abschreibungen/Neuanschaffungen für Instrumente/Bildwandler ca. 5 bis 40 €, Personalkosten 50 € pro Stunde (2 MFA). So kommen ohne Raumkosten für das OP-Zentrum Fixkosten in Höhe von 135 bis 210 € pro Operation zusammen.

Als Beispiel möchte ich die Situation bei einigen ambulanten Eingriffen darlegen:

Metallentfernung Radiusplatte:

Erlös 210,72 €, Kosten 155 € (wenn die ME schnell geht)

Metallentfernung K-Draht Mittelhand:

130,09 €, Kosten 115 € (1/2 Std. Personal)

Karpaltunnelspaltung:

159,96 €, Kosten 115 €

Der ärztliche Lohn wird in der EBM-Kalkulation normativ mit einem Oberarztgehalt angesetzt, zurzeit 117.060,00 € pro Jahr, zuletzt angepasst 2020. Dieser Wert ist heute nicht mehr realistisch, darüber hinaus findet keine regelmäßige Anpassung bei Tarifsteigerungen statt. Es wird so jedem klar, dass ambulantes Operieren nur gefördert werden kann, wenn endlich die Erlössituation der Realität angepasst wird, dies gilt für Praxen wie Krankenhäuser gleichermaßen. Da erscheint die Forderung der Ausgabenneutralität der gesetzlichen Krankenkasse im Schulterschluss mit unserem Bundesgesundheitsminister wie blanker Hohn und ein Schlag ins Gesicht der Operateur:innen.

Natürlich sind auch die Umfeld-Bedingungen beim ambulanten Operieren zu beachten: Neben dem Facharztstatus auch die postoperative 24-Stunden-Erreichbarkeit, die postoperativen Visiten, die Risikoaufklärung (Zeitbedarf in den letzten Jahren enorm gestiegen), die Dokumentation, die Infrastruktur (im ländlichen Raum anders zu bewerten als in der Großstadt) etc.

Fazit

Das ambulante Operieren muss dringend gefördert werden. Dies wird jedoch nur gelingen, wenn die Vergütung endlich realistisch kalkuliert und den aktuellen Gegebenheiten angepasst wird. Dann könnte bei entsprechendem Setting ein großer Teil der jetzt noch stationär erbrachten handchirurgischen Operationen bei gleichbleibender Qualität und Sicherheit ambulant durchgeführt werden.

Es kann nicht sein, dass Deutschland im weltweiten Ländervergleich bei der Bezahlung wie auch bei der Umsetzung des ambulanten Operierens einen der letzten Plätze einnimmt, teilweise hinter Pakistan.

Im Krankenhaus sind oft durch interne Reibungsverluste ambulante Eingriffe nicht kostendeckend umsetzbar, im niedergelassenen Bereich nur unter erschwerten Bedingungen. Alle zukünftigen Konzepte müssen die Weiterbildung des chirurgischen Nachwuchses auch im ambulanten Bereich berücksichtigen. Es erscheint durchaus sinnvoll, dafür auf die Expertise ambulanter Operateur:innen mit teilweise mehr als 25-jähriger Erfahrung zurückzugreifen, anstatt das Rad immer neu zu erfinden.

Dr. med. Karsten Becker

Handchirurgische Praxis Dr. Karsten Becker

Peiner Straße 2

30519 Hannover

[email protected]

Chirurgie

Becker K: Ambulantes Operieren in der Handchirurgie aus der Sicht eines niedergelassenen Chirurgen. Passion Chirurgie. 2022 November; 12(11): Artikel 03_01.

Diesen Artikel finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Fachgebiete | Plastische- und Ästhetische Chirurgie.

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